Nach etlichen Jahren habe ich nun mit zwiespältigen Gefühlen mein Abo der hiesigen Lokalzeitung gekündigt. Deren journalistische Qualität überzeugt mich ebenso wenig wie das Preis-Leistungs-Verhältnis. Und doch bin ich ein bisschen traurig darüber.
Denn Lokaljournalismus ist etwas Wunderbares. Ich selbst habe meine ersten journalistischen Erfahrungen im Lokalen gesammelt: Nach meinem Abitur absolvierte ich ein Praktikum in der Lokalredaktion ‚Würzburg-Land‘ der Mainpost. Während des Studiums schnupperte ich in einem weiteren Praktikum in den Semesterferien einmal beim Lokalradio ‚Radio Lippe‘ in Detmold rein.
Erste journalistische Gehversuche bei der Lokalzeitung
In der Redaktion Würzburg-Land wurde ich ab dem ersten Tag für Außentermine eingesetzt. Ich berichtete über angehende (konventionelle) Landwirte, die mit der Berufsschule einen Ausflug zum Biobauern in Unterpleichfeld machten (sie waren ziemlich skeptisch). Über den Infoabend eines integrativen Kindergartens, der in einer weiteren Randgemeinde für Aufsehen sorgte. Ich interviewte eine Schülerin und einen Schüler aus der Region, die beide ein Abitur mit der Note 1,0 hingelegt hatten. Ich recherchierte, was es mit den vielen Tieffliegern über Prosselsheim auf sich hatte, auf die mich eine aufgeregte Leserin hingewiesen hatte, deren Baby dadurch aus dem Mittagsschlaf gerissen wurde (es war mysteriös: weder bei der Bundeswehr, noch bei den damals noch in Unterfranken stationierten amerikanischen Streitkräften wusste man etwas über entsprechende Flugbewegungen). Außderdem sprach ich mit einem Gebrauchtwagenhändler über die im Zusammenhang mit der Maueröffnung (wir schrieben Sommer 1990) gestiegenen Preise für Autos. Irgendwo im Keller habe ich noch einen Ordner mit meinen Arbeitsproben von damals.
Gebaute Radiobeiträge aus dem Selbstfahrer-Studio
Beim Lokalradio in Detmold nutzte ich meinen Heimvorteil, denn ich war im Nachbarort Lemgo aufgewachsen und kannte noch immer viele Leute, die mir Neuigkeiten und spannende Ereignisse zutrugen. So berichtete ich über das Schulfest an der Grundschule meiner jüngeren Geschwister, bei der meine Schwester in einem Theaterstück als ‚Brüllmännchen‘ auftrat – für einen gebauten Radiobeitrag war der markerschütternde Schrei ein toller Einstieg. Ich besuchte eine Orchideenschau in Bad Salzuflen und ergänzte meinen Radiobeitrag mit einem Besuch bei einem Freund meiner Eltern, Manfred Solle, der die edlen Blumen über viele Jahre hinweg nicht nur züchtete, sondern auch künstlerisch in zarten Aquarellen festhielt. (Wer zum Thema Orchideenzucht und -malerei tiefer einsteigen möchte, kann hier etwas über eine spätere Orchideenschau im Ostwestfalen-Lippe nachlesen.) Als das persische Neujahrsfest Norouz nahte, befragte ich einen iranischen Teppichhändler in Lemgo zu den Neujahrstraditionen in seinem Heimatland und schickte mit meinem gebauten Beitrag – produziert in einem der letzten ‚Selbstfahrer-Studios‘, wo man noch per Hand die Bänder schneiden und neu zusammenkleben musste – Glückwünsche an die im Kreis Lippe lebenden Iranerinnen und Iraner raus. Irgendwo fliegt bei mir auch noch eine Cassette mit den gesammelten gebauten Beiträgen aus dieser Zeit herum.
Lokaljournalismus spiegelt bestenfalls das Große im Kleinen
Bei diesen beiden Praktika habe ich gelernt, dass es im Lokaljournalismus weit mehr zu berichten gibt als die sprichwörtliche Jahreshauptversammlung des Kaninchenzüchtervereins. Oft genug spiegelt sich die ‚große Politik‘ im Lokalen und wird erst dort wirklich hautnah erlebbar. Zumindest wenn die Lokalredaktion auf Zack ist, diese Themen auch sieht und so zu bearbeiten weiß, dass man das Große im Kleinen erkennen kann. Außerdem bin ich davon überzeugt, dass es auch im Lokalen kritische Medien braucht, die Politik und Verwaltung auf die Finger schauen, an heiklen Themen dranbleiben und auch mal den Finger in die Wunde legen. Umso bedenklicher finde ich es, dass seit Jahren immer mehr Lokalzeitungen vom Markt verschwinden, weil immer mehr Menschen ihre Abos kündigen und sich die Zeitungen wirtschaftlich nicht mehr tragen.
Mit den EN habe ich Gefallen am Prinzip Digitalabo gefunden
Als ich nach Elmshorn gezogen bin, habe ich mich dennoch eine gaze Weile erstmal schwer damit getan, die Elmshorner Nachrichten zu abonnieren. Ich war schließlich schon Ewigkeiten Abonnentin des Hamburger Abendblatts, mochte mich aus alter Verbundenheit auch nicht davon verabschieden und scheute das viele Altpapier, das mit zwei Abos einhergeht. Vor gut 6 Jahren entschloss ich mich dann aber doch zu einem Abo, um besser mitreden zu können, wenn im Willkommensteam mal wieder jemand auf einen Artikel in den aktuellen EN hinwies, den ich mangels Abo natürlich noch nicht gesehen hatte. Auch weil ich zwischenzeitlich dieses Blog gestartet hatte, fand ich es gut, bei lokalen Ereignissen auf dem Laufenden zu bleiben. Damals gab es das Digitalabo noch zum sagenhaft günstigen Preis von monatlich 17,90 Euro, für 20 Euro extra über 2 Jahre gab es ein iPad dazu. Weil mir das Prinzip Digitalabo so gut gefiel, stellte ich bald darauf auch mein Abendblatt-Abo auf ePaper um und verglich die ePaper-Systeme der beiden Zeitungen.
Stadtumbau und diverse Schildbürgerstreiche kritisch begleiten
Heute kostet mich das Abo ohne iPad 36,90 Euro im Monat. Und der Preis-Leistungs-Vergleich fällt nicht wirklich gut aus. Klar, in den EN erfahre ich mehr über das Geschehen in Elmshorn und im Kreis Pinneberg als im Abendblatt (das ich weiterhin jeden Morgen lese). Aber ich bekomme längst nicht so viele Informationen wie ich sie mir eigentlich von meiner Lokalzeitung wünschen würde. So kann ich mich z. B. überhaupt nicht erinnern, wann ich zuletzt einen Bericht über eine Ausschusssitzung des Stadtverordnetenkollegiums gelesen habe. Ich vermisse politische Berichterstattung, die z. B. den Elmshorner Stadtumbau und diverse stadtplanerische Schildbürgerstreiche (ich sag nur: Stichwort Unterführung Wrangelpromenade, die noch immer weder abgerissen noch saniert wurde, aber irgendwie sang- und klanglos wieder für den Verkehr freigegeben wurde) kontinuierlich kritisch begleitet. Doch davon findet man in den Elmshorner Nachrichten leider herzlich wenig.
Hingehen, wo die Dinge passieren und entschieden werden
Aus diesem Grund habe ich heute meine Kündigung losgeschickt. Es geht mir nicht in erster Linie um die knapp 444 Euro, die ich nun jedes Jahr spare (obwohl es vermutlich nicht schlecht ist, dieses Geld für die nächste Gasrechnung beiseite zu legen). Sondern darum, dass das journalistische Angebot meinen Erwartungen nicht gerecht wird. Die sind bei einem Lokalmedium noch nicht einmal so hoch, da erwarte ich gar keine pulitzerpreisverdächtigen Texte. Aber ausreichend viele Leute vorhalten, die dann hingehen, wo die Dinge passieren und entschieden werden, und dann auch darüber berichten, das sollte man bitte doch. Trotzdem habe ich das Gefühl, als hätte ich mit meiner Kündigung heute den eigentlich so unterstützenswerten Lokaljournalismus kläglich im Stich gelassen. Und das fühlt sich nicht so gut an.
5. September 2022 um 13:34
Wir fahren hier mit der Kombi Hamburger Abendblatt und Holsteiner Allgemeine schon seit Jahren sehr gut. Die EN vermissen wir nicht!
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