Gestern herrschte in der Elmshorner Innenstadt ein Treiben, das über den üblichen Trubel am Buttermarkt und Samstags-Shopping in der City hinausging. Eine Gruppe engagierter Menschen und Institutionen hatte zur Kundgebung und zum anschließenden bunten und lebendigen Fest für Demokratie aufgerufen. Hier könnt ihr lesen, warum ich zu den Erstunterzeichnerinnen des Aufrufs gehöre, mich an den Vorbereitungen dann doch nicht beteiligt habe, am Fest selbst aber neugierig teilgenommen habe.
Der erste Hinweis auf die gestrige Kundgebung erreichte mich vor ein paar Wochen. Der Freundeskreis Knecht’sche Hallen, vertreten durch seinen Vorsitzenden Jens Jähne, hatte alle möglichen Vereine und Initiativen in Elmshorn angeschrieben und zur Teilnahme an einer Kundgebung und Demonstration mit anschließendem bunten „Fest für Demokratie“ auf dem Alten Markt aufgerufen. Und da ich für die Homepage und die Pressearbeit des Willkommensteams für Flüchtlinge verantwortlich bin, landete der Aufruf in meinem Willkommensteam-Postfach.
Nicht erst warten, bis ein hasserfüllter Mob durch Elmshorn zieht
Der Gedanke hinter der Veranstaltung: Wir wollen den gefühlt immer zahlreicheren Hetzern und Spaltern in unserer Gesellschaft etwas entgegensetzen und uns gemeinsam auf die demokratischen Werte unserer Verfassung besinnen. Tolle Idee, dachte ich mir. Ich finde es richtig, nicht erst zu warten, bis auch in Elmshorn ein wütender Mob durch die Straßen zieht, bis Hass und Hetze die öffentliche Atmosphäre bestimmen. Es ist toll, dass es in unserer Stadt bislang keine massive Stimmungsmache gegen Flüchtlinge und andere Menschen mit Migrationshintergrund gibt, dass Vielfalt auf eine beruhigend unaufgeregte Art einfach gelebt wird. Doch es ist in meinen Augen wichtig, Position zu beziehen, Haltung zu zeigen. Aktiv und nicht erst als Reaktion auf unschöne Ereignisse. Für unsere Verfassung, für unsere demokratischen Werte, für unsere individuellen und gesellschaftlichen Freiheiten. Ich hatte spontan Lust, mich an der Vorbereitung des Fests zu beteiligen, mich im Rahmen meiner Möglichkeiten einzubringen.
Warum wollten sich Vertreter des Ditib-Verbandes an dem Fest beteiligen?
Das nächste Treffen des Vorbereitungsteams sollte in den Räumen der Islamischen Gemeinde in der Biernatzkystraße stattfinden. Da wurde ich stutzig. Diese Islamische Gemeinde gehört schließlich dem Ditib-Verband an. Dem Verband, der in den vergangenen Jahren bundesweit in den Schlagzeilen war, weil er – wie man u. a. in der Wikipedia nachlesen kann – dem staatlichen Präsidiums für religiöse Angelegenheiten der Türkei untersteht und dessen an staatlichen theologischen Hochschulen in der Türkei ausgebildeten Imame türkische Staatsbedienstete sind, die immer nur für wenige Jahre nach Deutschland entsendet werden. Vielen Kritikern gilt der Ditib-Verband als verlängerter Arm der AKP, der Partei des türkischen Präsidenten Erdogan. Seit ein paar Wochen steht die Ditib-Zentrale sogar auf der Beobachtungsliste des Bundesamts für Verfassungsschutz. Warum wollen also Ditib-Vertreter sich an einem Fest für Demokratie in Elmshorn beteiligen, wo doch Erdogans AKP in der Türkei für alles Mögliche steht, nur nicht für die demokratischen Werte, um die es bei unserem Elmshorner Fest gehen sollte, also unabhängige Justiz, Presse- und Meinungsfreiheit, offene Gesellschaft etc.? Ich war auf einmal skeptisch und entschied mich, mich aus der konkreten Planung für die Veranstaltung herauszuhalten und mich lediglich als Erstunterzeichnerin des Aufrufs zu beteiligen.
Tolles, friedliches und buntes Fest mit etwa 1.000 Teilnehmern
Aller Skepsis zum Trotz wollten mein Mann und ich uns die Kundgebung und das Fest natürlich nicht entgehen lassen. Als der Menschenzug sich kurz nach 11 Uhr am Holstenplatz in Bewegung setzte, sprach die Polizei von etwa 400 Teilnehmern. Mir kam die Menschenmenge größer vor, es stießen während des Marschs zum Alten Markt auch immer weitere Menschen dazu. Beim Auftakt des Fests hatten sich viele hundert Menschen vor der Bühne versammelt, am Ende war von Seiten der Veranstalter von etwa 1.000 Personen die Rede. Die Stimmung war toll, engagiert, friedlich und gelassen. Diverse Initiativen zogen umher und sammelten Unterschriften: gegen Waffenexporte, für die Seenotrettung von Flüchtlingen im Mittelmeer und das Bekenntnis des Kreis Pinneberg als „sicherer Hafen“ für Flüchtlinge. Auf der Bühne wechselten sich Redebeiträge und musikalische Einlagen ab, eine wirklich gelungene bunte Mischung – auch wenn einmal eine technische Panne dafür sorgte, dass die Mikros mitten während einer Rede ausfielen, und verschiedene Umbaupausen zwischen den Programmpunkten die Geduld des Publikums ein wenig strapazierten.
Politische Meinungsfindung ist oft anstrengend
Ganz besonders beeindruckte mich die Rede von Elmshorn früherer Bürgermeisterin Brigitte Frontzek: „Wir sind hier, weil wir unsere wunderbare Demokratie verteidigen wollen gegen jene, die sie verächtlich machen und beseitigen wollen.“ Sie sprach über die erschreckend niedrige Wahlbeteiligung der vergangenen Jahre, die doch eigentlich nur bedeuten könne, dass sich mindestens ein Viertel aller Bürgerinnen und Bürger nicht mehr für Politik interessieren, ihre Rechte gar nicht wahrnehmen wollen und Politikerinnen und Politiker mit gehöriger Distanz als „die da oben“ betrachten. „Ja, nicht alle Politikerinnen und Politiker handeln immer im Interesse der Allgemeinheit. Ja, viele von ihnen machen Fehler. Aber immerhin: Sie sind gewählt und können genauso auch wieder abgewählt werden“, sagte sie unter großem Beifall. Mitzumachen, politische Entscheidungen zu treffen und sich einzubringen sei allerdings auch oft anstrengend, denn um eine eigene politische Haltung zu finden, müsse man sich nun einmal informieren und mit anderen Positionen auseinandersetzen.
Ich bin den bequemen Weg gegangen und habe den Dialog gescheut
Ich fühlte mich ein bisschen ertappt bei diesen Worten. Denn ich war im Vorfeld der Veranstaltung den bequemen Weg gegangen. Da war eine Organisation unter den Teilnehmern, der ich mit (durchaus begründetem) Misstrauen begegne, und deshalb hatte ich darauf verzichtet, mich einzubringen und möglicherweise auch das Gespräch mit ebenjenen Vertretern der Islamischen Ditib-Gemeinde zu suchen. Wenn ich ehrlich bin, stammt mein Wissen über diesen Verband ausschließlich aus der Presse, nicht aber aus dem direkten Dialog. Ich weiß zum Beispiel nicht, ob es innerhalb des Ditib-Verbandes auch liberalere und unabhängigere Gemeinden gibt, die nicht in allen Punkten mit Erdogan übereinstimmen. Ich habe noch nie ein Wort mit den Menschen aus der Elmshorner Ditib-Gemeinde gewechselt, mit einen persönlichen Eindruck von ihren Positionen und Werten verschafft. Meine Informationsbasis hat also Lücken. Mir kamen Zweifel an meinem eigenen Verhalten: Ist es nicht eigentlich ein gutes Zeichen, wenn die Islamische Gemeinde Elmshorn sich auf diesem Fest für Demokratie ganz explizit zu allen im Aufruf genannten demokratischen Werten bekennt? Wäre es im Sinne der Demokratie nicht besser gewesen, ich hätte mich mindestens bei einem Vorbereitungstreffen blicken lassen und hätte genau diese Fragen gestellt, die mir durch den Kopf gingen: „Liebe Islamische Gemeinde Elmshorn, wie steht ihr eigentlich zu unseren demokratischen Werten, wenn doch aus Ankara so viele gegenteilige Signale kommen? Könnt ihr wirklich glaubwürdig ein Fest für Demokratie mit uns feiern?“
Türkische Nationalflaggen fand ich bei diesem Fest deplatziert
Es war ein tolles, friedliches, wichtiges und gelungenes Fest. Ich würde mir wünschen, dass es zu einer jährlichen Institution in unserer Stadt wird. Doch meine Fragen, die ich im Vorfeld nicht gestellt hatte, blieben auch gestern unbeantwortet. Ich registrierte zwar, dass Ali Evcil als Vertreter der Islamischen Gemeinde in seinem Redebeitrag den Willen zum friedlichen Miteinander hervorhob, passende Zitate des Propheten Mohammed einflocht und den friedliebenden und toleranten Charakter des Islam unterstrich. Einverstanden, Applaus. Doch für seinen allzu pauschalen Vorwurf, die deutsche Gesellschaft verwehre es türkischstämmigen Menschen, sich hierzulande zugehörig zu fühlen, mochte ich nicht klatschen. Zumal dazu im Publikum auf einmal unzählige türkische Flaggen geschwenkt wurden, die mich unangenehm daran erinnerten, wie viele Stimmen Erdogan bei seinem unseligen Referendum von den Exiltürken in Deutschland erhalten hatte. Auf einem Fest für Vielfalt und diskriminierungsfreies Miteinander hätten jegliche Nationalflaggen befremdlich auf mich gewirkt. Doch in Anbetracht der Lage von Menschenrechten und Demokratie in der Türkei fand ich die so zahlreich zur Schau getragenen türkischen Flaggen gestern wirklich deplatziert.
Nicht vorsichtshalber raushalten, sondern mitmischen und meine Fragen stellen
Doch was bedeutet das für mich in der Zukunft? Wie kann ich herausfinden, ob Organisationen, die mir politisch oder weltanschaulich spontan eher fremd als sympathisch sind, ein Fest vereinnahmen und nur für ihre Zwecke nutzen wollen? Wie kann ich mir sicher sein, dass unsere Schnittmenge groß genug ist um auch zusammen aufzutreten und öffentlich gemeinsame Werte zu vertreten? Ich fürchte, dass ich nicht um den unbequemen Weg herumkommen werde, wenn ich Antworten auf diese Fragen finden möchte. Und ich hoffe, dass ich beim nächsten Mal den Mut finden werde, mich eben nicht vorsichtshalber rauszuhalten, sondern mitzumischen und meine Fragen zu stellen. Mit allen Beteiligten zu reden und erst dann zu entscheiden, wie fremd oder sympathisch mir ihre Positionen sind.
Mich erinnert das an die Aktion „Deutschland spricht“
Die Gedanken, die mir im Zusammenhang mit dem gestrigen Fest durch den Kopf gegangen sind, erinnerten mich übrigens auch an die Aktion „Deutschland spricht“, die kürzlich auf Initiative der Wochenzeitung „Die Zeit“ sowie einer Reihe anderer Medien stattgefunden hat. Dabei haben sich Menschen getroffen und miteinander gesprochen, die gänzlich andere politische Ansichten vertreten und die im normalen Alltag vermutlich nie aufeinander treffen und sich austauschen würden. Doch ist es nicht besser, trotz aller Unterschiede von Angesicht zu Angesicht respektvoll miteinander zu reden, anstatt sich anonym in den Online-Kommentarspalten anzugiften? Ich fand es faszinierend, über die Gespräche zu lesen, die bei der Aktion herausgekommen sind. Auch über die Gespräche, auf die sich ein Autor der Zeit im Vorfeld bewusst eingelassen und in einem Artikel beschrieben hat. So traf sich der linksliberale Journalist u. a. mit einem bekennenden Neonazi. Er ging verständlicherweise beklommen in das Gespräch hinein – und kam auf eine andere Weise beklommen wieder hinaus. Denn trotz der vorhersehbaren und unüberbrückbaren politischer Differenzen musste er doch etliche Gemeinsamkeiten mit seinem Gegenüber feststellen, etwa ein Faible für Camping-Urlaub in Südfrankreich. Es ist aber eben so: Wer miteinander spricht, geht eine Verbindung ein. Mit Sicherheit lassen sich nie alle trennenden Gräben überwinden. Doch allein die Tatsache, dass man im Gespräch Unterschiede aushält und dennoch zivilisiert und respektvoll miteinander umgeht, ist doch ein Gewinn. Für die Demokratie, für den Frieden, für die Menschenrechte.
Ich wünsche mir, dass ich bei der nächsten Gelegenheit den Mut habe, diesen Weg zu gehen. Vielleicht beim „Fest für Demokratie“ in Elmshorn 2019. Wer macht sonst noch mit?