Elmshorn für Anfänger

Geschichten von einer, die auszog, im Hamburger Speckgürtel zu leben. Eine pragmatische Liebeserklärung.

Wohltuend sachlich und freundlich: Zahlen, Daten und Fakten zu Flüchtlingen in Elmshorn bei Infoveranstaltung im Mühlencafé

Ein Kommentar

Wer die aktuellen Nachrichten aus Chemnitz und anderswo verfolgt, der gewinnt leicht den Eindruck, dass viele Menschen ihr „Wissen“ über Flüchtlinge vor allem aus der Gerüchteküche beziehen. Anders in Elmshorn. Hier kamen gestern Abend knapp 100 Menschen ins Mühlencafé des Willkommensteams für Flüchtlinge Elmshorn, um sich über aktuellen Zahle, Daten und Fakten rund um das Thema Flüchtlinge in Elmshorn zu informieren.

Die Informationen stammten direkt aus der Verwaltung und wurden von Stadtrat Dirk Moritz persönlich erläutert. Sein Vortrag endete mit dem schönen Schlusswort: „Wir Elmshorner werfen keine Steine auf Flüchtlinge und Ausländer. Wir werfen ihnen Bälle zu.“ Und ich freute mich sehr über den Applaus, den er für dieses Fazit erhielt. Elmshorn ist nicht Sachsen, und das ist auch gut so.

Verteilung der Flüchtlinge nach dem Königsteiner Schlüssel

Moritz begann seinen Vortrag mit einem Verweis auf die aktuelle politische Situation, insbesondere nach den jüngsten Ereignissen in Chemnitz: „Oft sind es Gerüchte, die zu Meinungen führen, und es fehlt an Zahlen, Daten und Fakten.“ Genau diese Zahlen, Daten und Fakten, abgekürzt ZDF, lieferte Moritz in seinem anderthalbstündigen Vortrag. Er begann mit einer Erklärung des Königsteiner Schlüssels, nach dem – strikt proportional zu den Einwohnerzahlen – bundesweit, innerhalb der Bundesländer und auch auf Kreisebene Flüchtlinge verteilt werden. Schleswig-Holstein muss nach diesem Schlüssel  gut 3,3 Prozent aller Flüchtlinge in Deutschland aufnehmen, die Stadt Elmshorn erhält wiederum entsprechend ihrer Einwohnerzahl 16 Prozent aller Flüchtlinge im Kreis Pinneberg zugeteilt.

2018 und 2019 wird mit insgesamt jeweils 80 bis 90 Neuzuweisungen gerechnet

Stadtrat Moritz berichtete auch über die Entwicklung der Flüchtlingszahlen in Elmshorn. Waren es 2010 und in den drei Folgejahren immer nur einige wenige Menschen, die hier eintrafen, stieg die Zahl im Jahr 2014 ab Herbst auf insgesamt 138. Im Jahr 2015 war der Höchststand von 545 Flüchtlingen erreicht, die in Elmshorn untergebracht und versorgt werden mussten. Ab Frühjahr 2016 ging die Zahl wieder zurück, in 2017 waren es insgesamt 98 Flüchtlinge, für 2018 und 2019 wird nach derzeitigen Prognosen im Rathaus mit jeweils 80 bis 90 Zuweisungen gerechnet. „Das sind Zahlen, die wir auch gut bewältigen können“, betonte Moritz. Hinzu kämen allerdings noch die Menschen, die im Zuge der Familienzusammenführung nach Elmshorn kommen. Hier rechnet die Verwaltung im Schnitt mit 2,2 Menschen pro Flüchtling mit entsprechendem Aufenthaltsstatus.

Zahl der Kinder muss bei der Planung von Kitaplätzen berücksichtigt werden

Aktuell leben nach Angaben von Moritz 80 Flüchtlingskinder in Elmshorn, die teils mit ihren Eltern eingereist und teils bereits hier geboren sind. „Diese Zahlen müssen wir bei der Planung von Schul- und Kitaplätzen natürlich berücksichtigen“, betonte der Stadtrat. Derzeit besuchten nur wenige der Kinder von Flüchtlingen eine Kita, doch im Sinne der Integration sei es Ziel, dass die Kinder zumindest im Alter von 5 Jahren ein Jahr vor der Einschulung eine Kita besuchen. Außerdem leben aktuell auch 18 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Elmshorn.

Die zahlenmäßig am stärksten vertretenen Herkunftsländer der Flüchtlinge in Elmshorn sind Syrien, Irak, Iran, Afghanistan, Armenien und Russische Föderation.

Elmshorn setzt weiterhin ganz überwiegend auf dezentrale Unterbringung

Nach wie vor sind die meisten Flüchtlinge in Elmshorn dezentral in ganz normalen Wohnungen untergebracht – ein Umstand, auf den Moritz besonders stolz ist und der Elmshorn von den meisten anderen Kommunen unterscheidet. Große Einheiten seien zwar primär für die Kommune leichter zu verwalten, doch wenn die Flüchtlinge von Anfang an in ihren eigenen vier Wänden lebten, sind sie zufriedener und motivierter. Und auch die Akzeptanz in der Bevölkerung sei viel besser, wenn die Flüchtlinge im ganzen Stadtgebiet verteilt in ganz normalen Wohnungen leben. „Ich höre immer wieder von Menschen, dass es ihnen gar nicht groß auffällt, dass wir in Elmshorn auch Flüchtlinge untergebracht haben.“ Moritz führt es auch auf diesen Umstand zurück, dass es in Elmshorn bislang keinerlei rassistische oder rechtsextreme Übergriffe gegeben hat.

Betreuung durch die Johanniter in der Gemeinschaftsunterkunft Kurt-Wagener-Str.

Einzige Ausnahme vom Grundsatz der dezentralen Unterbringung ist die Unterkunft in der Kurt-Wagener-Str. im ehemaligen Post-Gebäude. Hier werden Menschen untergebracht, die im Alltag ein wenig mehr Unterstützung und Beratung benötigen und die dort auf die Hilfe der Johanniter zählen können, die werktags von 8 bis 20 Uhr mit 2,5 Vollzeitkräften vor Ort sind und z. B. bei Behördengängen, Bewerbungsschreiben oder Deutschlernen helfen. In der Unterkunft stünden insgesamt 28 Räume zur Verfügung, von denen derzeit 19 belegt seien.

Stadt Elmshorn zahlt ortsübliche Vergleichsmieten – nicht mehr

Auch sonst verfüge die Stadt Elmshorn über ausreichend Reserven an angemietetem Wohnraum um bei Bedarf neu eintreffende Flüchtlinge schnell angemessen unterbringen zu können: „Wenn wir heute erfahren, dass uns morgen eine fünfköpfige Familie zugeteilt wird, dann können wir ja nicht erst morgen mit der Wohnungssuche anfangen.“ Moritz betonte aber, dass die Stadt sich zu keinem Zeitpunkt auf Wuchermieten eingelassen habe und den Vermietern die ortsüblichen Mieten zahle. Anderslautende Gerüchte, die gelegentlich die Runde machen, könne er nicht nachvollziehen. Sobald die Flüchtlinge einen Aufenthaltsstatus hätten und damit auch selbst Wohnraum anmieten könnten, dringe die Stadt Elmshorn darauf, dass sie die Mietverträge übernehmen. „Wir sind hierzu regelmäßig im Gespräch mit den Vermietern.“

Eigenes Sachgebiet „Integration“ im Elmshorner Amt für Soziales

Um die Integration der hier lebenden Flüchtlinge aktiv zu begleiten und zu koordinieren, hat die Elmshorner Verwaltung im Amt für Soziales ein eigenes Sachgebiet Integration eingerichtet. „In anderen Verwaltungen läuft das eher nebenher, doch wir haben hier zwei Mitarbeiterinnen, die sich ausschließlich mit diesem Thema beschäftigen“, erklärte Moritz. Aufgaben dieses Sachgebiets, dessen Aktivitäten man auf der Homepage der Stadt Elmshorn genau nachlesen kann, seien:

  • Vorurteile entkräften
  • Angebote zum Erlernen der deutschen Sprache bündeln
  • dezentrale Unterbringung organisieren
  • Vermittlung in Ausbildung und Arbeit begleiten
  • Begegnungen ermöglichen
  • wechselseitigen Kulturaustausch fördern

Das Mühlencafé des Willkommensteams für Flüchtlinge ist in Moritz Augen der perfekte Ort um miteinander ins Gespräch zu kommen und Vorurteile auf beiden Seiten abzubauen.

Inzwischen gibt es 8 Anbieter von Sprach- und Integrationskursen in Elmshorn

Zentraler Schlüssel zur Integration sei aber das Erlernen der deutschen Sprache. Mittlerweile gebe es in Elmshorn 8 Anbieter von Deutschkursen, sodass heute – nach einer Zeit, in der es z. T. schwierig war, einen Platz zu ergattern – eigentlich jeder, der einen Deutschkurs besuchen möchte, auch einen Platz bekomme. Eine Liste mit allen Anbietern in Elmshorn findet man auf der Internetseite der Stadtverwaltung. Neuerdings gebe es auch Integrationskurse mit angeschlossener Kinderbetreuung, sodass auch Mütter von kleinen Kindern Zugang zu Deutschkursen erhielten. Problematisch ist nach Erfahrung einiger Zuhörer, die im Mühlencafé Moritz Vortrag folgten, die Aufteilung des Lernstoffes innerhalb der einzelnen Kurs-Level. Insbesondere für Teilnehmer von Alphabetisierungskursen sei es zum Teil schwer, das geforderte Sprachniveau in der vorgegebenen Zeit zu ereichen. Doch welcher Unterrichtsstoff in welchem Zeitraum vermittelt wird, richte sich nach den bundesweiten Vorgaben des Bundesministeriums für Migration und Flüchtlinge (Bamf). Allerdings soll die Zahl der verfügbaren Stunden pro Stufe künftig erhöht werden, sodass auch die Durchfallquoten sich in Zukunft verringern dürften.

Bei der Vermittlung in Arbeit und Ausbildung gibt es noch viel zu tun

Die Vermittlung von Flüchtlingen in Arbeits- oder Ausbildungsverhältnisse sei nicht immer einfach. Als Haupthindernis bezeichnete Moritz die immer noch viel zu lange Dauer der Asylverfahren: „Je früher die Menschen eine Arbeit aufnehmen, umso besser für die Integration. Jedem Menschen tut es gut, eine Aufgabe zu haben, mit Kollegen Kontakt zu haben, nicht herumsitzen und resignieren zu müssen – wie belastend Untätigkeit ist, kann vermutlich jeder nachvollziehen, der in seinem Leben einmal arbeitslos war.“ Unter den Flüchtlingen könnten nach Statistiken der Arbeitsagentur 17% einen akademischen Abschluss und 7% eine abgeschlossene Berufsausbildung vorweisen. „Das bedeutet aber nicht, dass 76% ohne jegliche Berufserfahrung hierher gekommen sind“, betonte Moritz, „sondern es bedeutet vor allem, dass diese Menschen nicht über die Ausbildungsabschlüsse und Zeugnisse verfügen, die unseren Abschlüssen entsprechen und problemlos anerkannt werden.“ Innerhalb des Willkommensteams leistet die AG Integration in Ausbildung und Arbeit hier wichtige Unterstützung, wie Bernd Halbuer im Anschluss an Dirk Moritz Vortrag berichtete. „Wir nehmen Kontakt mit Unternehmen im Umkreis auf und versuchen, Flüchtlinge in Praktika und Arbeitsverträge zu vermitteln“, erklärte Halbuer. Die AG betreue auch die Flüchtlinge, die im Rahmen einer flüchtlingsintegrierenden Maßnahme (FIM) eingesetzt sind und denen es danach häufig gelinge, einen Job im ersten Arbeitsmarkt zu finden. Die AG könnte weitere Unterstützer gut gebrauchen, wer Interesse hat, kann unter arbeit@willkommensteam-elmshorn.de Kontakt aufnehmen.

Orte und Möglichkeiten für Begegnungen von Menschen schaffen

Ebenfalls zentral für die Integration sei es, Möglichkeiten für Begegnungen unter den Menschen zu schaffen. Stadtrat Moritz erwähnte an dieser Stelle Einrichtungen wie den Buttermarkt, Stadtteilfeste und Stadtteilzentren, den Kinderschutzbund und Sportvereine sowie – last but not least – das Willkommensteam. Eine Liste interkultureller Begegnungsmöglichkeiten findet man übrigens ebenfalls auf der Homepage der Stadt Elmshorn.

Die Stadt Elmshorn sieht Dirk Moritz deshalb insgesamt auf einem sehr guten Weg bei der Integration von Flüchtlingen in die Bevölkerung. Er beendete seinen Vortrag mit dem schönen Schlusssatz: „Wir Elmshorner werfen keine Steine auf Flüchtlinge und Ausländer. Wir werfen ihnen Bälle zu.“ Und ich freue mich nach wie vor, dass ich – wenngleich nicht mehr in vorderster Front – Teil des Willkommensteams bin, das Flüchtlingen ebensolche Bälle zuwirft und ihnen bei der Integration in unsere Gesellschaft hilft.

 

Ein Kommentar zu “Wohltuend sachlich und freundlich: Zahlen, Daten und Fakten zu Flüchtlingen in Elmshorn bei Infoveranstaltung im Mühlencafé

  1. Pingback: Bürgermeisterwahl in Elmshorn: Welcher der vier Kandiaten macht das Rennen? | Elmshorn für Anfänger

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s