Elmshorn für Anfänger

Geschichten von einer, die auszog, im Hamburger Speckgürtel zu leben. Eine pragmatische Liebeserklärung.

Leute, das war großartig!

Hinterlasse einen Kommentar

Das wärmt mir das Herz: Um die 5.000 Menschen haben am vergangenen Sonnabend in Elmshorn für eine vielfältige und friedliche Gesellschaft, für eine starke Demokratie und gegen Nazis demonstriert.

Die Nachrichtenlage gibt aktuell ja nicht allzu viel her, das dazu geeignet ist, Mut und Zuversicht zu verbreiten. Der Krieg in der Ukraine und in Israel bzw. Gaza, die Klimakrise, eine drohende zweite Amtszeit von Donald Trump in den USA, die politische Spaltung innerhalb unserer Gesellschaft… die Liste ist ja beliebig fortsetzbar. In dieser Situation sind die Kundgebungen und Demonstrationen gegen Faschismus und Menschenhass für mich aktuell ein echter Lichtblick.

Ich hatte mich bereits am Freitag, den 19. Januar 2024 zusammen mit Freund*innen auf nach Hamburg gemacht, als dort ein breites Bündnis zu einer Kundgebung auf dem Rathausmarkt am Jungfernstieg aufgerufen hatte. Ich hatte damit gerechnet, dass viele Menschen sich dort einfinden würden. Denn die Enthüllungen des Recherchenetzwerks Correctiv zu den Deportationsplänen, die ein gefährlicher Haufen aus Mitgliedern der AfD, der Reichsbürgerszene und der Identitären Bewegung vor ein paar Wochen in Potsdam besprochen hatten, dürften endlich auch denjenigen die Augen geöffnet haben, die in der AfD bislang nicht mehr als eine harmlose Protestpartei gesehen hatten.

Pläne zur ‚Remigration‘ betreffen meine engsten Familienmitglieder

Wenn diese Leute ankündigen, Menschen mit sogenanntem Migrationshintergrund das Leben in Deutschland so ungemütlich wie möglich zu machen und auf lange Sicht auch mit Gewalt aus Deutschland zu vertreiben, dann betrifft mich das ganz persönlich. Der Vater meines Sohnes wurde im Iran und nicht in Deutschland geboren, was neben ihm auch mein Kind zur Zielscheibe von Nazis macht. Verblendete Irre, die hierzulande eine homogene Gesellschaft errichten wollen, in der Menschen mit anderer als weißer Hautfarbe und mit anderen als rein deutschen kulturellen Wurzeln keinen Platz mehr haben. Auch die Mutter meiner Enkelin hat einen sogenannten Migrationshintergrund, für diesen Teil meiner Familie gilt also dasselbe. Wenn ich also erfahre, dass Nazis in Potsdam seelenruhig darüber debattieren, wie man u. a. etliche meiner engsten Familienmitglieder aus Deutschland entfernen könne, dann verstehe ich keinen Spaß mehr. Und nein, es soll sich bitte niemand bei mir melden, der mir versichern möchte, dass die AfD es doch ’nur‘ auf Asylsuchende ohne Bleiberecht abgesehen hat, die sich nicht integrieren wollen. Innerhalb der Partei sind seit einiger Zeit die völkischen Zirkel um Björn Höcke auf dem Vormarsch, die von einem ethnisch homogenen Deutschland schwadronieren und dafür millionenfach Menschen abschieben wollen, die nicht in ihr Bild von Deutschsein passen.

Stabiles Transparent für die Mehrfachnutzung

Den Donnerstagabend vor der Kundgebung in Hamburg verbrachte ich deshalb im Keller. Ich hatte noch ein paar alte weiße Baumwollgardinen, die ich zum Transparent umfunktionieren wollte. Ich nähte Halterungen für zwei Plastikstangen – und vorsichtshalber kettelte ich den ganzen Stoff auch sauber ab. Schließlich dürfte es in nächster Zeit sicher noch etliche weitere Gelegenheiten zum Demonstrieren geben. Da darf das Transparent gern stabil und langlebig sein. Und auch die Künstler-Acrylfarbe, die ich schon so lange nicht mehr genutzt hatte, fand nun endlich mal wieder sinnvolle Verwendung.

Entlang der Alster war einfach kein Durchkommen

Als der U- und S-Bahnhof Jungfernstieg von den Bahnen gar nicht mehr angefahren wurde, damit nicht noch mehr Menschen von unten nach oben drängen, hatten wir schon eine Ahnung, dass vielleicht mehr als die von mir persönlich prognostizierten 30.000 Menschen auf der Straße sein würden. Wir entschlossen uns also, bereits an der Stadthausbrücke die S-Bahn zu verlassen und zu Fuß weiter zu gehen. Wir wollten über die schnieken Shoppingstraßen zum Jungfernstieg gelangen, doch auch dort staute sich die Menschenmenge bereits zurück. Mir war dann klar, dass wir meinen Mann wohl erst nach der Demo würden treffen können. Denn entlang der Alster war einfach kein Durchkommen. Doch nie war ich glücklicher über dichtes Gedränge – ob es nun 50.000, 80.000 oder gar 130.000 Menschen waren, die sich dort versammelt hatten, um sich schützend vor unsere Demokratie zu stellen.

In Elmshorn lassen sich viele Menschen für die gute Sache mobilisieren

Als für das darauffolgende Wochenende eine Demo in Elmshorn angekündigt war, trug ich den Termin gleich in meinen Kalender ein. Dass sich in unserer Stadt ebenfalls viele Menschen für die gute Sache mobilisieren lassen, hatten sie z. B. 2019 bei einer großen von Fridays for Future organisierten Demo für den Klimaschutz mit 4.000 Teilnehmenden unter Beweis gestellt. Oder zuletzt bei einer Demo Anfang März 2022, bei der sich 1.500 Menschen mit der Ukraine solidarisch zeigten. Ich hatte gelesen, dass bei einer Kundgebung in Pinneberg etwa 3.500 Menschen zusammengekommen waren. Und hoffte daher auf mindestens 4.000 Leute in Elmshorn (sorry, Pinneberg, für irgendwas muss der Wettstreit zwischen unseren Gemeinden ja gut sein…).

Unser Problem ist nicht die Vielfalt, sondern die Einfalt!

Und dann wurden es am vergangenen Sonnabend um fünf vor zwölf sogar 5.000 oder 6.000 Menschen (und damit gut 10% der Elmshorner Bevölkerung! Chapeau!), die sich auf dem Alten Markt und in der Königstraße versammelten. Auch hier viele coole Plakate und Transparente mit zum Teil echt kreativen Sprüchen (mein Favorit, leider nicht fotografiert: „Remigriert euch ins Knie!“). Als Oberbürgermeister Volker Hatje die Kundgebung eröffnete, hörte ich von ganz weit weg noch „Bitte lauter!“-Rufe, so voll war es in der City. Aus meiner Sicht wäre es gut gewesen, wenn die Redner*innen vorn anlässlich des 79. Jahrestags der Befreiung von Auschwitz am 27. Januar 1945 zu einer Schweigeminute aufgerufen hätten. Aber vielleicht sollte der Fokus tatsächlich lieber auf der Gegenwart liegen. Und so bekam der SPD-Bundestagsabgeordnete Ralf Stegner, der den Kreis Pinneberg in Berlin vertritt, großen Applaus für seine Worte: „Unser Problem ist nicht die Vielfalt in diesem Land, sondern die Einfalt!“

Ich hoffe sehr, dass wir alle diesen Spirit aufrechterhalten. Dass wir zusammenstehen und uns gegen Menschenhass und Ausgrenzung wehren, wo auch immer sie uns begegnen. Dass die schweigende Mehrheit nicht länger still verharrt, sondern sich einmischt. Wir haben übrigens im Anschluss an die Demo in kleiner Runde die Grillsaison eröffnet. Und was ihr da oben seht, ist die einzige braune Soße, die uns auf den Tisch kommt.

Hinterlasse einen Kommentar