Elmshorn für Anfänger

Geschichten von einer, die auszog, im Hamburger Speckgürtel zu leben. Eine pragmatische Liebeserklärung.

Mein Schnuppertag in der Handweberei ‚Stückwerke‘ in Barmstedt

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Am Dienstag habe ich einen Schal gewebt. Einen knappen halben Meter breit und 175 Zentimeter lang ist er geworden. Als ich meinen Tag in der Werkstatt von Antje Vajen begann, hätte ich nie geglaubt, dass ich bis zum Nachmittag ein ganzes Stück fertigstellen würde. Doch es hat geklappt – und ich bin sehr happy mit dem Resultat!

Ich war vergangenes Jahr auf Antje Vajen aufmerksam geworden, als sie für eine Weile die Ladenfläche im Elmshorner Pop Op Huus nutzte um ihre handgewebten Stücke zu präsentieren. Nachdem ich die schönen Kissen und Schals eine Weile im Schaufenster bestaunt hatte, begann ich ihr auf Instagram zu folgen und bekam deshalb mit, dass sie vor Weihnachten in einer Sonderaktion die Hälfte ihrer Erlöse an SeaWatch und eine Einrichtung zur Unterstützung von Wohnungslosen spenden wollte. Ich nutzte die Gelegenheit und kaufte mir ein tolles handgewebtes Kissen, das ich seither am liebsten auf dem Sofa nutze, wenn ich mein iPad auf dem Schoß ablege und die digitale Zeitung lese.

Mit dem Kissen hatte meine Namensvetterin mir auch einen Flyer ihrer Handweberei ‚Stückwerke‘ in Barmstedt in die Hand gedrückt. Und so erfuhr ich, dass sie nicht nur handgewebte Kissen, Schals, Geschirrtücher, Tischläufer und Decken verkauft, sondern auch Webkurse anbietet. Es brauchte zwar ein paar etwas plumpe Winke mit dem Zaunpfahl, doch irgendwann kapierte mein lieber Mann, dass ich mich zu meinem Geburtstag sehr über einen Gutschein für einen solchen Webkurs freuen würde. 🙂

Großer Webstuhl statt kleinem Schulwebrahmen

Und nun war es endlich an der Zeit, meinen Gutschein einzulösen. Normalerweise tummeln sich an einem solchen Schnuppertag mindestens drei Web-Neulinge in der Werkstatt in Barmstedt, doch am Dienstag durfte ich mich ganz allein – unter Anleitung von Antje natürlich – mit dem Webstuhl vertraut machen. Und da gibt es tatsächlich eine ganze Menge zu lernen, zumindest wenn man wie ich bis dato nur auf kleine Webprojekte am Schulwebrahmen in der Grundschulzeit zurückblicken konnte. So lernte ich, dass es bei Webstühlen drei Gundbindungsarten gibt (Leinwand-, Köper- und Satin- bzw. Atlasbindung, mit unzähligen Varianten), aus denen sich ergibt, welche Muster die Kettfäden hervorbringen. Ganz ganz dunkel erinnerte ich mich an die Erklärungen meiner Grundschullehrerin: Die Kettfäden sind die im Webrahmen eingespannten Fäden, durch die dann der Schussfaden hin- und hergefädelt wird.

Das Schiffchen mit der Garnspule saust durch die Kettfäden

Während sich der Schussfaden in einem Schulwebrahmen immer nur abwechselnd über und unter den Kettfäden herschlängelt, gibt es auf einem Webstuhl viel mehr Variationsmöglichkeiten. Einen Webstuhl mit der jeweiligen Bindung einzurichten, damit man im Anschluss maximal 22 Meter Stoff weben kann, dauert rund anderthalb Tage, erklärte mir Antje. Wow, man muss bei so einem handgefertigten Stück also nicht nur die reine Webzeit, sondern auch die Einrichtungszeit des Webstuhls berücksichtigen! Zum Glück war der Webstuhl, an dem ich am Dienstag arbeitete, schon fertig mit einer Köperbindung bespannt, die im Ergebnis ein schönes Fischgratmuster ergibt. Zumindest, wenn man auch immer den richtigen der insgesamt vier Fußtritte ansteuert und sich bei der Reihenfolge nicht vertut: erst links außen, dann rechts außen, als nächstes links innen, dann rechts innen – und dann wieder von vorn. Mit jedem Fußtritt öffnen sich die Kettfäden in einer speziellen Anordnung, man gibt dem Schiffchen mit der Garnspule einen Schubs, und dann gleitet es hindurch zur anderen Seite. Zumindest, wenn man den Schwung richtig dosiert: Mit zu wenig Schwung bleibt das Schiffchen in der Mitte stehen und man muss es mühselig per Hand weiterschieben. Mit zu viel Schwung saust es zu schnell durch die Kettfäden und fällt am anderen Ende runter.

Nach einer Weile Übung ist Weben geradezu meditativ

Weben erfordert also (zumindest für einen Neuling) zum einen Gefühl für das Material und das Werkzeug und zum anderen Konzentration, damit man nicht aus dem Takt gerät und versehentlich den falschen Fußtritt betätigt (oder sich nicht merkt, welcher Fußtritt zuletzt dran war, wenn das Telefon klingelt…), wodurch sich ein Fehler in das Fischgratmuster einschleicht (wie man auf dem Foto mit dem gelben Farbblock unschwer erkennen kann). Doch wenn sich die Füße an die Reihenfolge der Tritte gewöhnt und die Hände ein Gefühl für den richtigen Schwung bekommen haben, mit dem sie das Schiffchen in Gang setzen müssen, dann wird Weben geradezu meditativ: Wie auch bei anderen Handarbeiten oder beim Malen gelang es mir, komplett abzutauchen aus meinen sonstigen Gedanken, und ich war nur in der Werkstatt, nur bei meinem pink- und senffarbenen Garn, nur bei der Links-Rechts-Bewegung des Schiffchens, das Reihe für Reihe und Zentimeter für Zentimeter Stoff aus den Fäden Stoff zauberte. Immer wenn wieder einige Zentimeter dazugekommen waren, musste ich die Fäden des Webstuhls nachspannen: Hinten auf der Rolle wurden die gebundenen Kettfäden abgewickelt und vorn auf der Rolle der fertige Stoff aufgewickelt.

Kommt „Klappern gehört zum Handwerk“ aus der Weberei?

Am späten Nachmittag waren es 175 Zentimeter geworden. Antje durchtrennte die Kettfäden und zog das fertige Stück aus dem Webstuhl. Sie zeigte mir noch, wie sich die Kettfäden zu Kordelfransen drehen lassen, damit die Schalenden fixiert werden – das war dann meine Hausaufgabe für den nächsten Abend. Nun ist mein Schal fertig, und obwohl ich den einen oder anderen Webfehler eingebaut habe und die Webkanten nicht überall komplett gleichmäßig gelungen sind, bin ich sehr zufrieden mit meinem Werk. Beim ersten Mal sollte man ja nun wirklich keine Perfektion erwarten, schließlich ist Handweberei ein richtiger Lehrberuf, den man nicht mal so eben im Laufe eines Tages erlernt. Während ich an meinem pink-gelben Schal arbeitete, saß die Handwebemeisterin übrigens an einem anderen Webstuhl mit acht (!) Fußtritten und produzierte ebenfalls einen Schal. Sie legte natürlich trotz des ungleich komplizierteren Musters ein ganz anderes Tempo vor als ich, sodass die Querlatten, an denen die Bindungen für die Fußtritte befestigt sind, nur so klapperten. Ich kann mir vorstellen, dass das Sprichwort „Klappern gehört zum Handwerk“ hier seinen Ursprung hat…

Mein heißer Tipp für’s Last Minute-Shopping vor Weihnachten!

Am Abend nach meiner Web-Premiere war ich ganz schön kaputt: viel Input, viel Sitzen auf der Holzbank des Webstuhls, viele neue feinmotorische Bewegungsabläufe. Dafür durfte ich ein echtes Unikat mit nach Hause nehmen. Inzwischen habe ich auch die Kordelfransen gefertigt und trage meinen Schal sehr gern, der dank des weichen Alpakagarns auch überhaupt nicht am Hals kratzt. Und weil ich bislang keine farblich passende Mütze zu diesem Schal habe, bin ich gleich einmal zum Wollgeschäft in der Holstenstraße gegangen und habe Garn gekauft. Die Mütze werde ich allerdings stricken, nicht weben. 🙂

Wenn ihr noch auf der Suche nach einem besonders schönen Weihnachtsgeschenk seid, dann kann ich euch Antjes Webstücke nur empfehlen. Ein Gutschein für einen Webkurs bei Antje (live in der Werkstatt oder online via Zoom) ist natürlich ebenfalls ein tolles Geschenk, wie ich nun aus eigener Erfahrung sagen kann. Vielen Dank an dieser Stelle noch einmal für den tollen Tag in Barmstedt! Ihr findet Antje übrigens auch auf Instagram und YouTube, wo sie immer wieder tolle Stücke präsentiert und verschiedene Techniken erklärt.

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