Filmaufnahmen vom Krieg in Syrien haben wir alle in den TV-Nachrichtensendungen zuhauf gesehen. Doch der Dokumentarfilm von Ahmad Alzoubi, der Alltagssequenzen aus dem Kriegsalltag in Syrien und von seiner Flucht nach Deutschland zusammengeschnitten hat, ist anders. Viel persönlicher. Das geht unter die Haut.
Ahmad Alzoubi lebt nach seiner Flucht aus Syrien seit Ende 2015 in Bremen. Gestern war er im vollbesetzten Mühlencafé des Elmshorner Willkommensteams zu Gast, präsentierte seinen Film und beantwortete im Anschluss viele Fragen aus dem Publikum.
Der junge Student ist kein Fernsehreporter. Er hatte zum Zeitpunkt, als er die Geschehnisse filmte, noch gar nicht vor, sie zu einem Dokumentarfilm zusammenzuschneiden. Und das genau unterscheidet seinen Film von dem Werk eines professionellen Reporters, der mit einem klaren Auftrag an einen Ort reist und dessen Ziel es ist (und sein muss), in knapper Zeit möglichst umfassend und ausgewogen zu zeigen, was dort los ist.
Man begleitet Ahmad in wackeligen Bildern durch sein zerstörtes Elternhaus
Ahmads Film hingegen besteht aus wackeligen Bildern, die allesamt mit einer Handykamera aufgenommen wurden. Wenn er die Verwüstungen zeigt, die ein Bombenhagel in seinem Stadtviertel und in seinem Elternhaus angerichtet haben, dann schwenkt der Blick hastig umher – genau wie man sich wohl selbst umsehen würde, wenn man durch sein eigenes Haus geht, das auf einmal in Schutt und Asche liegt, wenn man noch gar nicht weiß, wohin man zuerst schauen sollte und welche Entdeckung einen wohl als nächstes erschrecken wird. Mir gingen diese Bilder deshalb deutlich näher als alles, was ich bislang im Fernsehen an professioneller Berichterstattung gesehen habe.
Jugendliche, die trotz Krieg auch mal lachen und für Handyfotos posieren
Gleichzeitig zeigt der erste Teil des Films, der Ahmads Leben in Syrien vor seiner Flucht widerspiegelt, auch viele Bilder vom „ganz normalen“ Alltag: Schulbesuch, Chillen mit Freunden, landwirtschaftliche Arbeit auf dem Landgut der Eltern… Der Krieg ist zwar allgegenwärtig, aber trotzdem posiert man auch mal lachend in Victory-Post fürs Handyfoto oder Selfie. Ähnlich schildert Ahmad auch seine Flucht, die ihn erst über den Landweg ins türkische Izmir, dann mit dem Schiff nach Samos, von dort mit der Fähre nach Mazedonien und dann über die Balkanroute nach Westeuropa und schließlich Bremen führt: Da wechseln sich Bilder von tosender Gischt im unsicheren kleinen Motorboot ab mit Fotos, auf denen Ahmad wie ein Kreuzfahrttourist an der Reling der Fähre lehnt und hoffnungsvoll in die Kamera blickt.
Nach einem Moment Stillschweigen Applaus und viele Publikumsfragen
Dieser sehr persönliche Dokumentarfilm bringt einem das Schicksal einen Flüchtlings emotional sehr viel näher als es jede TV-Dokumentation je könnte. Und so herrschte nach dem Ende des Films erst einmal einen Moment Schweigen im Mühlencafé, bevor zaghafter Applaus ertönte. Danach gab es viele Fragen an Ahmad, die dieser problemlos in sehr respektablem Deutsch beantwortete (man bedenke, dass er sich erst seit gut zwei Jahren in Deutschland aufhält…). Hier einmal eine kleine Auswahl der Fragen und seiner Antworten.
- Warum fliehen überwiegend junge Männer und lassen ihre Familien zurück? Alle Männer über 18 Jahre können von Assads Regime zum Militärdienst eingezogen werden. Wer in den von Rebellen dominierten Gebieten lebt, kann auch von diesen zwangsrekrutiert werden. Das ist ein wichtiger Grund, warum es für Männer deutlich gefährlicher ist, in Syrien zu bleiben. Außerdem kostet eine Flucht viel Geld – ohne Fluchthelfer/Schlepper ist es quasi unmöglich, auch nur außer Landes zu gelangen. Die wenigsten Familien können sich eine Flucht für alle Familienmitglieder leisten. Sie hoffen auf Familiennachzug, nachdem ein Mitglied einen positiven Asylbescheid erhalten hat. Ahmad betonte, dass Frauen und Kinder nicht gänzlich allein gelassen werden, sondern dass sich in der Regel ein Onkel oder Bruder um die zurückgebliebene Familie kümmert.
- War dir von Anfang an klar, dass du nach Deutschland fliehen möchtest? Nein, anfangs wollte ich vor allem aus Syrien raus. Erst einmal in die Türkei gelangen, dann weitersehen, vielleicht nach Deutschland. Viele geflohene Syrer würden gern in den arabischen Nachbarstaaten bleiben, also Libanon, Jordanien oder Ägypten. Doch dort leben bereits etliche Millionen syrische Flüchtlinge (in Libanon z. T. 1 Million Syrer bei insgesamt nur 7 Millionen Einwohnern), die Kapazitäten sind begrenzt, die Zustände in den Flüchtlingscamps oft furchtbar. Nur deshalb wollen viele Syrer überhaupt weiterziehen nach Westeuropa und insbesondere Deutschland.
- Hast du schon einmal versucht, deinen Film auch im deutschen TV unterzubringen? Bislang habe ich den Film in ein paar Kinos in Bremen, Berlin und Hamburg sowie in verschiedenen Cafés gezeigt. Ich habe einmal mit einer TV-Redaktion gesprochen. Doch diese hat mir angeboten, mein Rohmaterial zu kaufen und selbst einen Film daraus zusammenzuschneiden. Doch das wollte ich nicht. ich will mit meinem Film kein Geld verdienen, sondern meine ganz persönlichen Eindrücke aus Syrien und von meiner Flucht zeigen. Wenn TV-Redakteure das neu zusammenschneiden würden, würden sie ggf. einen ganz anderen Fokus setzen.
- Was wusstest du zuvor über Deutschland und seine Menschen? Nicht viel. Ich wusste, dass Deutschland ein reiches Land ist, das moderne Autos baut. Über die Menschen hier wusste ich nichts.
- Hast du in Deutschland gleichaltrige deutsche Freunde gefunden? Ich habe viele deutsche Bekannte, doch echte Freundschaften mit Gleichaltrigen habe ich leider noch nicht geschlossen, also nicht im Sinne eines „besten Freundes“.
- Wie beurteilst du die gegenwärtige Lage in Syrien? Es ist schwer zu sagen, wie sich der Konflikt lösen ließe. Viele Staaten verfolgen in Syrien ihre eigenen Interessen. Die russische Regierung hat ein Interesse daran, Assad im Amt zu halten. Die USA unterstützen die Kurden, und die Türkei zum Teil die IS-Rebellen.
Ich habe mich gestern Abend über gleich mehrere Dinge gefreut: Einmal darüber, dass so viele Menschen (es waren schätzungsweise 85 bis 90) zur Filmaufführung ins Mühlencafé gekommen sind. Dann darüber, dass sie in ihren Fragen so viel echtes menschliches ebenso wie politisches Interesse gezeigt haben. Und schlussendlich in meiner Funktion als Presseverantwortliche des Willkommensteams auch darüber, dass mit HAZ und Elmshorner Nachrichten beide Lokalmedien vor Ort waren und (hoffentlich ausführlich!) über den Abend berichten werden.
Wer irgendwann und irgendwo einmal die Gelegenheit hat, den Film von Ahmad Alzoubi zu sehen, dem möchte ich dringend empfehlen, hinzugehen. Mehr Infos über Ahmad und sein Filmprojekt findet man übrigens hier.
Pingback: Volles Haus und angeregte Diskussion mit Ahmad Alzoubi bei der gestrigen Filmvorführung im Mühlencafé | Willkommensteam für Flüchtlinge Elmshorn e. V.