Elmshorn für Anfänger

Geschichten von einer, die auszog, im Hamburger Speckgürtel zu leben. Eine pragmatische Liebeserklärung.

Ein ärgerlicher Parkrempler, eine verschollene Papierakte und haarsträubende Telefonate mit der Staatsanwaltschaft

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Ich bin gerade fassungslos. Und wütend. Und kann es überhaupt nicht glauben, was ich da gerade über die Arbeitsweise unserer Justiz lernen musste. Es geht um die Nachwehen eines Unfalls auf dem Parkplatz meines Fitnessstudios, die sich seit nunmehr über einem halben Jahr hinziehen, ohne dass mein Schaden vollständig reguliert wurde.

Das war passiert: Anfang Januar parkte ich meinen damals gerade einmal zwei Monate alten Golf Sportsvan (wie ich zu diesem Auto gelangt bin, kann man übrigens hier nachlesen) auf dem Parkplatz vor dem Joy Fitness an der Hamburger Straße. Als ich das Fitnessstudio gerade verließ um in mein Auto zu steigen, sprach mich ein junger Mann an, der gerade Zeuge geworden war, wie eine Dame beim Ausparken mein Auto gestreift hatte und einfach davongefahren war. Zum Glück hatte er sich geistesgegenwärtig das Kennzeichen gemerkt und gab mir seine Telefonnummer für Rückfragen der Polizei.

Strafanzeige wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort

Ich war natürlich mächtig sauer über diese Unfallflucht, fuhr zur Polizeiwache in die Moltkestraße und erstattete Strafanzeige gegen die Halterin des Fahrzeugs. Ein Polizist begutachtete den Schaden und nahm alle Daten auf, telefonierte kurz darauf auch mit dem Zeugen. Ich meldete den Schaden meiner Versicherung (HUK Coburg), die mir dazu riet, ihn erst einmal über meine Vollkaskoversicherung laufen zu lassen, damit das Auto zügig und nicht erst nach Abschluss des Verfahrens repariert wird. Da die Schuldfrage ja eindeutig sei, könne ich mir meine Eigenbeteiligung von 300 Euro dann ja später von der Versicherung der Unfallgegnerin (Itzehoer) erstatten lassen, ebenso wie den möglichen Wertverlust meines Neuwagens, den Nutzungsausfall während der Zeit, in der mein Auto in der Werkstatt ist, und meine sonstigen Auslagen (zum Beispiel Umsatzausfall – ich bin schließlich Freiberuflerin) im Zusammenhang mit der Angelegenheit.

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Sieht nicht so dramatisch aus, doch der Kotflügel musste komplett neu lackiert werden, die Stoßstangenhalterung war verzogen und musste erneuert werden, und das Leichtmetallrad (hier nicht wirklich zu erkennen) war mächtig angeschrappt und deshalb nicht reparabel. Schaden insgesamt: rund 1.500 Euro. Da mein Auto noch quasi nagelneu war, wollte ich auch, dass es ordentlich gemacht wird, damit ich nicht auch noch Wertverlust hinnehmen muss.

Kotflügel lackiert, Stoßstangenhalterung erneuert, Leichtmetallrad ausgetauscht

Das war eine gute Idee, denn hätte ich gewartet, bis die Versicherungen mit der Bearbeitung des Falls fertig sind, dann würde ich heute noch mit vermacktem hinteren Kotflügel, vermacktem Hinterrad und verzogener hinterer Stoßstange rumfahren. Aufgrund meines Versicherungstarifs musste ich mein Auto bei dem Karosseriebetrieb Gebrüder Reise in Kiebitzreihe reparieren lassen, die den Job auch ordentlich erledigten. Der Schaden belief sich auf insgesamt rund 1.500 Euro, weil der Kotflügel neu lackiert, die Stoßstangenhalterung ersetzt und das Leichtmetallrad komplett ersetzt werden musste. Meine Eigenbeteiligung belief sich auf 300 Euro, die ich direkt bei Gebrüder Reise zahlen musste.

Eigenbeteiligung, Nutzungsausfall und ein Tagessatz Honorarausfall

Anfang Februar war mein Auto wieder heil. Nachdem ich es aus der Werkstatt abgeholt hatte, schickte ich der Itzehoer Versicherung eine Aufstellung meiner finanziellen Forderungen: 300 Euro Eigenbeteiligung, Pauschbetrag für 3 Tage Nutzungsausfall und einen Tagessatz zu meinem gängigen Stundenpreis, schließlich hatte ich mit der Anzeige bei der Polizei, mit Telefonaten mit der HUK Coburg, Schriftverkehr, mit einer Schadenbegutachtung in der Werkstatt und den Fahrten zur Reparatur und zurück insgesamt mindestens acht Stunden Arbeitszeit verbracht, in denen ich meiner bezahlten Tätigkeit nicht nachgehen konnte. Und dann passierte: nichts.

Ermittlungsverfahren eingestellt, doch der Schaden wird nicht beglichen

Mitte April erhielt ich ein Schreiben der Staatsanwaltschaft Itzehoe, in dem mir mitgeteilt wurde, dass das Verfahren gegen die Autofahrerin wegen unerlaubten Entfernen vom Unfallort eingestellt wurde. Sie habe zwar eingeräumt, dass sie beim Ausparken den Schaden an meinem Auto verursacht hat, bestand aber darauf, dass sie dies beim Ausparken nicht bemerkt habe. Nun gut, ich war selbst nicht Zeugin des Geschehens, kann das also nicht wirklich beurteilen. Aber ich ging zumindest davon aus, dass ich mit diesem Schreiben bei der Itzehoer darauf dringen könne, mir endlich meinen Schaden zu begleichen.

Die Antwort auf E-Mails kommt grundsätzlich per Post

Nun ist es ja ein bei Behörden und behördenähnlichen Institutionen verbreitetes Phänomen, dass auf E-Mail-Anfragen grundsätzlich per Post geantwortet wird. Was die Kommunikation nicht nur wegen des Postwegs verlangsamt, sondern auch, weil ein Sachbearbeiter den Brief erst einmal diktieren muss, dieser dann (so stelle ich es mir zumindest vor) im Schreibbüro getippt, dem Sachbearbeiter vorgelegt, von ihm unterschrieben, in der Poststelle in einem Briefumschlag gepackt, frankiert und dann endlich postalisch versandt werden muss. Die Itzehoer Versicherung jedenfalls legt ein solches behördenähnliches Verhalten an den Tag und antwortet auf E-Mails in dem geschilderten Tempo per Post.

„Die Akte ist hier nicht mehr. Sie ist wohl schon ins Archiv gewandert.“

Mehrfach durfte ich nun per Brief erfahren, dass die Bearbeitung meiner Forderung sich noch hinzieht, weil man bei der Staatsanwaltschaft Itzehoe die Ermittlungsakte angefordert, aber noch nicht erhalten habe. Anfang Mai war mir das dann ein bisschen zu blöde und ich rief einmal bei der Staatsanwaltschaft an, um mich zu erkundigen, warum denn die Ermittlungsakte nicht rausgeschickt wird, damit der Fall abschließend bearbeitet werden kann. Antwort der Dame am Telefon: „Oh, da muss ich einmal nachschauen. Die Akte ist hier nicht mehr. Die ist wohl schon ins Archiv gewandert.“ Auf meine Frage, ob man die Akte denn auch wieder aus dem Archiv herausholen könne, antwortete sie mir, ja, das sei möglich, sie werde sich darum kümmern.

„Unsere Anwälte fordern jeden Monat einmal die Akte an, aber es tut sich nichts.“

Leider passierte weiterhin: nichts. Zwischenzeitlich hatte ich gesundheitliche Probleme (erst Diagnose einer Schilddrüsenerkrankung, dann im Urlaub Rennradsturz und Flohbisse statt Erholung) und die Sache beinahe schon vergessen, weil ich schlicht genug andere Sorgen hatte. Doch heute morgen fiel mir der Schlamassel wieder ein, und ich rief bei der Itzehoer Versicherung an, ob sich denn inzwischen etwas getan hat. Ich erhielt dieselbe Antwort wie schon zuvor: „Unsere Anwälte fordern jeden Monat einmal die Ermittlungsakte an, haben sie aber bislang nicht bekommen. Vielleicht hat sich auch noch eine Bußgeldstelle eingeschaltet und die Akte angefordert, sodass wir sie noch nicht bekommen können? Jedenfalls gibt es keine Frist, innerhalb derer die Staatsanwaltschaft uns die Akte übermitteln muss, tut mir Leid.“

Eine Papierakte, die im Hängeregister wohnt und von A nach B geschickt wird?

Diese Antwort machte mich stutzig. Das klang ja gerade so, als gebe es nur eine – physische – Akte (so richtig klassisch, ein Hängeregister aus Papier), die mal von dem einen und mal von dem anderen angefordert und dann – physisch – durch die Republik geschickt wird. Und wenn der eine sie auf dem Schreibtisch hat, dann kann ein anderer logischerweise nicht hineinschauen, geschweige denn sie bearbeiteten. Wenn darin Zettel durcheinandergeraten, dann findet man sich in der Akte halt nicht mehr zurecht. Und wenn ein Bürohund sie annagt, ein Windstoß Zettel aus dem Fenster weht oder der Briefträger den Briefkasten mit einem Altpapiercontainer verwechselt, dann ist sie halt weg. Oder?

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Man sollte meinen, dass Behörden mittlerweile digitale Akten führen. Doch offenbar sieht es im Archiv der Staatsanwaltschaft eher so aus.

Das kann doch nicht sein, wir leben doch im 21. Jahrhundert! Digitalisierung!

Nein, das kann doch nicht sein. Wir leben schließlich im 21. Jahrhundert, die Digitalisierung ist allgegenwärtig! Jeder Selbstständige muss seit Anfang 2016 seine Steuererklärung elektronisch übermitteln, nicht einmal in Härtefällen ist die Papierform noch zulässig. Wenn das Finanzamt voll digitalisiert arbeitet, muss das doch auch für die Staatsanwaltschaft gelten, oder? Ich fürchte, das stimmt nicht. Wie es aussieht, gibt es tatsächlich nur diese eine Papierakte, die in einem Hängeregister im Archiv wohnt und mal von A nach B geschickt und von dem einen oder anderen eingesehen (und in Unordnung gebracht) wird. Andere Schlüsse kann ich aus den folgenden beiden Telefonaten, die ich mit der Staatsanwaltschaft Itzehoe führte, einfach nicht ziehen.

„Ich kann da leider nichts machen, die Akte ist im Archiv…“

Das erste Gespräch führte ich mit der Dame, deren Durchwahl auf dem Briefkopf des Schreibens stand, mit dem mich die Staatsanwaltschaft Mitte April über die Einstellung des Ermittlungsverfahrens informiert hatte. Nachdem ich ihr mein Anliegen geschildert hatte, erwiderte sie: „Das Verfahren wurde ja eingestellt, ich bin also nicht mehr zuständig. Die Akte ist jetzt im Archiv.“ Ich meinte: „Aber jemand muss sie nochmal aus dem Archiv rausholen, denn sie wird noch von der Versicherung gebraucht, damit die endlich meinen Schaden begleichen kann!“ Sie meinte: „Ich kann da leider nichts machen, die Akte ist ja im Archiv.“ Ich: „Dann würde ich gern mit jemandem aus dem Archiv sprechen, wir drehen uns ja sonst im Kreis, bitte geben Sie mir mal eine Durchwahl.“ Immerhin: Sie hatte die Durchwahl und rückte sie auch ohne Murren heraus.

Raschel, raschel im Papier: „Oh, da ist uns wohl ein Fehler unterlaufen!“

Das nächste Gespräch also mit dem Archiv der Staatsanwaltschaft. Ich stellte mir mittlerweile einen dunklen Katakombenkeller vor, in dem schläfrige Beamte Aktenwägelchen mit quietschenden Reifen langsam vor sich herschieben. Nach mehreren Versuchen, bei denen ich laaaaaaange nur Freizeichen hörte, meldete sich ein Herr, dem ich mein Anliegen schilderte und das Aktenzeichen mitteilte. „Moment, da muss ich einmal meinen Computer hochfahren“, erklärte er mir. Es war kurz vor 10 Uhr morgens. Und ich dachte bis dato, nur Journalisten und andere künstlerische Berufe seien mit ihrem morgendlichen Arbeitsbeginn spät dran… Einen Moment später erklärte mir der Mann stolz: „Ich habe in der Zwischenzeit schon mal die Akte rausgeholt.“ Die Akte. Es gibt sie also, die physische Papierakte. Und offenbar wird darin auch feinsäuberlich verzeichnet, wer sie wann bereits angefordert hat und an wen sie versendet wurde. „Einen Moment mal, ich muss mal meine Kollegin kurz was dazu fragen“, sagte der Mann und verließ das Telefon. Im Hintergrund hörte ich ihn undeutlich mit der Kollegin sprechen und hörbar mit Papier rascheln. Dann berichtete er mir: „Also die Anwälte der HUK Coburg aus Berlin hatten die Akte schon und haben sie auch schon wieder zurückgeschickt.“ Weiteres hörbares Papierrascheln. „Moment mal, ich sehe hier gerade was. Ist das ein Anwaltsbüro aus Hamburg, das von der Itzehoer beauftragt wurde?“, fragte er mich. Was weiß ich, welche Anwälte die Itzehoer mit dem Fall beauftragt hat. „Das ist wohl übersehen worden. Die haben die Akte angefordert, aber da ist der Staatsanwaltschaft wohl ein Fehler unterlaufen, die Akte ist anscheinend nicht rausgegangen. Ich schicke sie gleich heute raus.“ Ach.

Kein Vorwurf an den Sachbearbeiter – aber an den verstaubten Justizapparat!

Ich erzählte dem Mann, dass ich ein ähnliches Gespräch schon einmal mit einer Kollegin von ihm geführt hatte und dass daraufhin leider gar nichts passiert war. Und dass ich ziemlich ärgerlich bin, weil es für mich um eine Forderung von insgesamt rund 1.000 Euro geht, die nicht bearbeitet werden kann, weil so eine blöde Akte nicht übermittelt wird. „Oh, das ist ärgerlich, dafür habe ich Verständnis!“, sagte er immerhin. Ihm persönlich ist vermutlich auch kein Vorwurf zu machen. Aber dem trägen, verstaubten Justizapparat mache ich durchaus Vorwürfe. Ist es wirklich so, dass die Ermittlungsakte nur in Papierform und nicht digital vorliegt? Dass sie immer nur der Reihe nach von Hand per Post an alle Verfahrensbeteiligten verschickt wird? Dass es tatsächlich keinerlei Fristen gibt, innerhalb derer eine Staatsanwaltschaft erforderliche Dokumente zur Verfügung stellen muss?

Ich als Bürgerin muss an jeder Ecke Fristen und Formen wahren

Und warum muss ich dabei nur an meine ungleich andere Rolle als einfache Bürgerin denken? Die sich brav an Fristen zur Abgabe der Einkommenssteuererklärung, zur Entrichtung von Grundbesitzabgabe, Gebühren etc. pp. halten muss, weil sonst drastische Konsequenzen drohen? Die sich auch an die verlangte Form (Stichwort elektronische Steuererklärung!) halten muss, damit den Behörden die Arbeit erleichtert wird? Die mit ihren Steuerzahlungen ebendiesen Justizapparat mitfinanziert, der ihr zur Verfolgung ihrer berechtigten Interessen nicht einmal Kopien oder Scans von ein paar wenigen Blättern Papier zur Verfügung stellen kann? Und die offenbar keine Handhabe hat, außer diesen Mist achselzuckend zur Kenntnis zu nehmen? In diesem Fall geht es „nur“ um Geld und ums Prinzip. Doch was wäre, wenn es um eine wirklich ernste Sache ginge, in der ich als Bürgerin wirklich mal die Hilfe der Justiz benötige? Da kann einem eigentlich nur Angst und Bange werden.

2 Kommentare zu “Ein ärgerlicher Parkrempler, eine verschollene Papierakte und haarsträubende Telefonate mit der Staatsanwaltschaft

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