Seit ich in Elmshorn wohne, ist Pinneberg ungefähr das, was Norderstedt für mich war, als ich noch in Hamburg-Langenhorn lebte: Terra incognita. Gestern Abend habe ich einmal eine Ausnahme gemacht und mir die gelungene Premiere des Stückes „Die fremde Stadt“ im Forum Theater Pinneberg angeschaut.
Ich habe Vorurteile gegenüber Pinneberg. Nicht nur wegen der eigentümlichen Art, wie Menschen von dort Auto fahren, sondern auch, weil Pinneberg bei meinen Recherchen nach einem schönen und bezahlbaren Eigenheim im Hamburger Speckgürtel nicht so gut abgeschnitten hat. Es hat mich dann bekanntlich nach Elmshorn verschlagen, und ich bin nach wie vor sehr zufrieden mit dieser Entscheidung. Pinneberg hatte von mir den Stempel „gesichtslose Schlafstadt“ aufgedrückt bekommen, so wie einst Norderstedt, als ich noch in Hamburg-Langenhorn wohnte. Eine Stadt, die zwar direkt nebenan liegt, aber die man doch einfach weitgehend ignoriert.
Neugierig auf die Premiere im Forum Theater Pinneberg
Gestern nun habe ich erstmals einen Ausflug in diese mir fremde Stadt gemacht. Und zwar bezeichnenderweise, um mir dort das Theaterstück „Die fremde Stadt“ des britischen Dramatikers John Boyton Priestley im Forum Theater Pinneberg anzuschauen. Babett Schemion, die ich durch meine Arbeit im Willkommensteam für Flüchtlinge kenne und die erfreulicherweise neuerdings ebenfalls dem Vorstand unseres Vereins angehört, spielt in dem Stück die Rolle der blaublütigen Karolina von Krickwitz. Sie machte mich neugierig auf die Premiere.
„Die fremde Stadt“: Typisch für den moderaten Sozialisten Priestley
Die Geschichte von „Die fremde Stadt“ ist ziemlich typisch für Priestley, der in der Wikipedia als „moderat sozialistisch geprägt“ beschrieben wird. Ich erinnere mich (sehr dunkel) daran, dass ich in der Mittelstufe einmal sein Stück „An Inspector Calls“ lesen musste, in dem er Klassenunterschiede, Ausbeutung der arbeitenden Bevölkerung, Habgier und Materialismus in der britischen Gesellschaft kritisiert.
Diese Botschaft kann man auch in „Die fremde Stadt“ (geschrieben in 1943) unschwer wiederfinden. In der Beschreibung des Stückes im Programmheft heißt es:
Neun Menschen, wie sie unterschiedlicher kaum sein können, treffen sich unfreiwillig in einem stillgelegten Bahnhof.
Sie alle würden sich in der Realität in dieser Runde vermutlich niemals begegnen. Aber sowohl der adlige Politiker, der vor einer Konferenz rasch noch eine Runde Golf am Falkenstein spielt, als auch die ehemalige Schlecker-Verkäuferin aus Billstedt, die ihre karge Rente durch Putzen aufbessert, wurden – wie die anderen – auf rätselhafte Weise aus ihrem gewohnten Leben gerissen und gemeinsam vor die verschlossene Tür zu einer fremden Stadt versetzt.
Als die Tür sich schließlich öffnet, lernen die neun dort ein Leben kennen, das ganz anders ist als ihr bisheriges – friedlich, harmonisch, ohne Neid, Missgunst und erbarmungslose Konkurrenz. Jedem bietet sich die einmalige Chance, seine alte Existenz hinter sich zu lassen und einen Traum wahr werden zu lassen, der manchem allerdings eher wie ein Albtraum erscheint.
Konfrontiert mit diesem utopischen Paradies, das für sie zur Wirklichkeit werden kann, stellen sie sich ihren Zwängen und Ängsten, ihren Hoffnungen und Sehnsüchten. Wer bleibt in der fremden Stadt, wer kehrt in sein vertrautes Leben zurück? Oder gibt es eine dritte Möglichkeit?
Holzschnittartig überzeichnete Charaktere gelungen in die heutige Zeit übertragen
Die Theatergruppe versetzt die neun Menschen in das heruntergekommene Gebäude eines stillgelegten Bahnhofs, der während des gesamten Stückes die einzige Kulisse bleibt. Sie irren umher, suchen nach einem Ausweg aus dem verrammelten Gebäude, sprechen miteinander und verstehen einander doch nicht. Die Charaktere wurden in die heutige Zeit übertragen und holzschnittartig überzeichnet dargestellt: Da ist die arrogante und standesbewusste Adelige mit ihrer rebellierenden Tochter. Da ist der geldgeile Unternehmer, dem zwei noch nicht versendete geschäftliche E-Mails wichtiger sind als die Frage, wie er eigentlich in diese seltsame Umgebung katapultiert wurde. Da ist die notorisch nörgelnde Ehefrau eines Bankers, für die auch ein Luxus-Leben in der Hafencity nicht ausreicht. Nebst ihrem Mann, der permanent darin scheitert, es seiner Frau recht zu machen. Da ist die Studentin, die beim Jobben als Hotel-Zimmermädchen ausgebeutet wird und sich im Laufe des Stückes in einen Tagelöhner verliebt, der für eine Zeitarbeitfirma heute hier und morgen dort antanzen muss. Da ist die ehemalige Schlecker-Mitarbeiterin aus Billstedt, die ihre magere Rente durch Putzen aufbessern muss. Und da ist der blasierte und abgehobene Politiker, der vor allem nichtssagende Phrasen absondert. Sie alle reagieren unterschiedlich auf ihre Erfahrung mit der geheimnisvollen Traumstadt, in der es keine Klassengrenzen, keine Regierung und keine Polizei gibt, in der jeder nicht für Geld, sondern für die Freude und Sinnhaftigkeit seines Tuns arbeitet. Am Ende wagen nur zwei der neun Menschen den Neuanfang in dieser „heilen Welt“ ohne Neid, Missgunst, Konkurrenzkampf und Ausbeutung.
Lust bekommen? Es gibt noch vier weitere Vorstellungen!
Mein Fazit: Eine gelungene Umsetzung des alten Priestley-Stückes und eine tolle schauspielerische Leistung! Kleine Notiz am Rande: Das Forum Theater Pinneberg feiert in diesem Jahr sein 20-jähriges Bestehen und führt aus diesem Grund lauter Stücke auf, die es im Laufe der vergangenen zwei Jahrzehnte bereits einmal auf die Bühne gebracht hat. Mit „Die fremde Stadt“ war das Ensemble bereits 1997 erfolgreich. Wer nun Lust bekommen hat, sich das Stück in seiner neuen Fassung ebenfalls anzuschauen, der hat dazu noch heute (1. November) um 18 Uhr, am 6. und 7. November jeweils um 19:30 Uhr und am 8. November um 18 Uhr Gelegenheit. Das Forum Theater Pinneberg spielt in der Ernst-Paasch-Halle in der Lindenstr. 10 in Pinneberg, Tickets kosten 10 Euro (ermäßigt 7,50 Euro). Übrigens: Der Erlös aus den Ticketverkäufen geht an eine Pinneberger Flüchtlingsinitiative, für die im Eingangsbereich auch ein paar Sparschweine aufgestellt sind.
Absacker in Meusels Landdrostei mit leckerer Käseplatte
Unser Ausflug in unsere ganz persönliche „fremde Stadt“, nämlich Pinneberg, endete dann in der nahegelegenen Meusels Landdrostei im Pinneberger Kulturzentrum Drostei. Edles und gemütliches Ambiente, die Speisekarte sah sehr vielversprechend aus. Da das Theaterstück aber bis nach 22 Uhr gedauert hatte, war die Küche bereits geschlossen. Nichtsdestotrotz bekamen wir noch eine sehr leckere Käseplatte, zu der ich den ersten weißen Merlot meines Lebens trank – köstlich. Man sollte wohl öfters mal Ausflüge in fremde Städte unternehmen.
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