Elmshorn für Anfänger

Geschichten von einer, die auszog, im Hamburger Speckgürtel zu leben. Eine pragmatische Liebeserklärung.

Spezialgebiet der Dittchenbühne: Blinden Respekt vor Obrigkeiten auf die Schippe nehmen

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Am 3. Oktober habe ich mir zusammen mit meinem Mann das Stück „Der Revisor“ in der Dittchenbühne angeschaut. Und ich muss sagen: toll gespielt und toll inszeniert!

Das Forum Baltikum (bei den meisten Elmshornern immer noch besser unter dem alten Namen „Dittchenbühne“ bekannt) ist eine ganz besondere Einrichtung. Ursprünglich von Vertriebenen aus Ostpreußen gegründet, die damit ihr kulturelles Erbe lebendig halten wollten, schwelgen die Aktiven der Einrichtung heute längst nicht mehr nur in der Vergangenheit. Vielmehr schlagen die Schauspieler in ihren Stücken Brücken zu den Menschen in den baltischen Staaten – zum Beispiel, indem sie nach ihren Theateraufführungen hier in Elmshorn regelmäßig auf eine zweiwöchige Tournee durch Estland, Lettland, Litauen, Polen und Russland gehen. Demnächst heißt es für die Laientruppe wieder „Koffer packen“, denn dann stehen lange Busfahrten und etliche Aufführungen im Osten an.

Nikolai Gogol – ein russischer Autor ukrainischer Herkunft

Am 3. Oktober 2015 hatte ich noch Karten ergattert und habe mir zusammen mit meinem Mann das diesjährige Herbst- und Tourneestück „Der Revisor“ angeschaut. Ich hatte mir schon im vergangenen Jahr bei meinem ersten Besuch der Dittchenbühne von ihrem Leiter Raimar Neufeldt erzählen lassen, dass die Dittchenbühne auf die Fördergelder nach dem Bundesvertriebenengesetz angewiesen ist und deshalb in der Auswahl der gespielten Stücke nicht immer ganz frei ist. Sprich: Es sollten am besten Stücke von Autoren aus den baltischen Staaten oder aus Russland gespielt werden. So war es auch in diesem Jahr, als es „Der Revisor“ von Nikolai Gogol – einem russischen Autor ukrainischer Herkunft – dort zu sehen gab. Die Geschichte des Stückes beschreibt die Dittchenbühne in ihrem Progamm so:

In einem kleinen russischen Städtchen wird die Nachricht verbreitet, ein Revisor sei inkognito auf dem Weg in die Stadt. Alle Beamten der Stadt, allen voran der Stadthauptmann als Oberhaupt, fürchten sich vor diesem Besuch. Schließlich hat jeder von ihnen Dreck am Stecken: Sie lassen sich schmieren, bestechen oder erfüllen ihre Aufgaben nicht. Gleichzeitig ist ein junger Mann, Chlestakov aus St. Petersburg, in einem Gasthaus abgestiegen. Seit zwei Wochen wohnt er dort und hat noch keine Rechnung bezahlt, sondern sich immer alles anschreiben lassen. Schnell geht das Gerücht um, der junge Mann sei der Revisor. Bald kommt es zum Zusammentreffen der beiden Parteien. Chlestakow denkt, er würde wegen der unbezahlten Rechnungen gleich abgeführt und rastet aus. Er schreit herum und beschwert sich, dass das Essen sowieso nicht schmecke. Der Stadthauptmann ist durch diesen Ausbruch völlig eingeschüchtert und noch mehr davon überzeugt, es mit einem richtigen Staatsbeamten zu tun zu haben. Er beruhigt Chlestakow und denkt, er müsse das Inkognito Spielchen mitspielen. Chlestakow erzählt hier aber seine wahre Geschichte: dass er vom Vater aus St. Petersburg zurückbeordert wurde, weil er es dort in der Kanzlei noch zu nichts gebracht hat. Mit der Heimreise lässt er sich allerdings ein wenig Zeit, weil er überhaupt keine Lust hat, nach Hause zu gehen. Jedoch habe er kein Geld mehr. Der Stadthauptmann steckt ihm schnell 400 Rubel als Schmiergeld zu. Er bietet ihm auch an, bei sich im Gästezimmer zu wohnen. Nun werden Chlestakow verschiedene Besichtigungstouren durch die Stadt geboten und dabei wird ihm immer wieder etwas Geld zugesteckt. Er spielt das Spiel fröhlich mit, verlobt sich sogar mit der Tochter des Stadthauptmanns. Kurz danach macht er sich aus dem Staub. Schließlich löst sich der Schwindel auf. Es erscheint der richtige Revisor.

Die Inszenierung mit dem minimalistischen Bühnenbild und den überzeichneten Charakteren gefiel uns sehr gut. Auch die schauspielerische Leistung fanden wir wirklich beeindruckend. Wie heißt es unter Schauspielern so schön? Komische Rollen sind am schwierigsten zu spielen. Es gehört schon einiges an schauspielerischem Können dazu, so wie der Lebemann und vermeintliche Revisor nur mit einem glitzernden Stringtanga bekleidet über die Bühne zu hüpfen und nicht einmal ansatzweise zu kichern, wenn alle Menschen im Saal in schallendes Gelächter auszubrechen.

Unreflektierte Liebe zu Orden, Hierarchien, Status- und Rangabzeichen

Auffällig fand ich auch, dass „der Revisor“ in seiner Botschaft dem Stück vom Vorjahr, dem „Hauptmann von Köpenick“ gar nicht so unähnlich ist: In beiden Stücken geht es um windige, aber deswegen nicht unbedingt unsympathische Betrüger, die das stumpfe Obrigkeitsdenken einer ganzen Gemeinde ausnutzen, sich als jemand ausgeben, der sie gar nicht sind, und damit eine ganze Weile hervorragend durchkommen. Und da es mir gefällt, wenn die unreflektierte Liebe zu Orden, Hierarchien, Status- und Rangabzeichen kräftig auf die Schippe genommen wird, muss ich dem Team der Dittchenbühne auch dieses Jahr wieder ein großes Lob aussprechen: Wir haben uns köstlich amüsiert!

Herzlichen Dank an Wolfgang Breithaupt, dessen Fotos ich hier für diesen Beitrag verwenden durfte!

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