Wer ab jetzt von auswärts in den Kreis Pinneberg zieht, muss nicht mehr zwangsläufig das Kfz-Kennzeichen „PI“ an sein Auto schrauben – und hat damit eine faire Chance, für andere weiterhin als guter Autofahrer zu gelten.
Seit Jahresbeginn 2015 können Autofahrer ihr Kfz-Kennzeichen bundesweit mitnehmen, wenn sie an einen anderen Ort ziehen. Bislang war das nur bei einem Umzug innerhalb der Landesgrenzen möglich. Das Hamburger Abendblatt titelte im Pinneberger Regionalteil daher „Ein Stück Hamburg in Pinneberg“ und schrieb: „Welcher Hamburger, der sich für einen Umzug in den Kreis Pinneberg entscheidet, wird freiwillig das HH am Auto gegen ein PI tauschen, wenn er nicht muss?“
Mein Image als Autofahrerin leidet unter dem Kennzeichen PI
Ich jedenfalls hätte es nicht getan, wenn ich im Frühjahr 2012 nicht gemusst hätte. Tatsächlich war die Aussicht auf ein Kennzeichen PI an meinem Auto das einzige gewichtige (wenn auch nicht wirklich erwachsene) Argument gegen den Umzug nach Elmshorn. Ich gebe zu, anfangs waren es unbestätigte Vorurteile, die mich zweifeln ließen. Doch mittlerweile weiß ich, dass die Fahrkultur im Kreis Pinneberg zu Recht verschrien ist. Ich würde heute zwar aus Verbundenheit zu meiner neuen Heimat kein Hamburger Kennzeichen mehr zurücktauschen wollen (zumal das nachträglich auch gar nicht möglich ist), doch ich mache mir gelegentlich Sorge um mein Image als Autofahrerin, das möglicherweise unter meinem Kennzeichen PI leidet. Denn ich fahre – anders als viele Autofahrer mit Kennzeichen PI – (noch) ganz normal.
Toleranz gegenüber Andersdenkenden und Andershandelnden
Da ich mich aber grundsätzlich für Aufklärung und Toleranz gegenüber Andersdenkenden und Andershandelnden einsetze, möchte ich an dieser Stelle über ein paar typische Marotten von Autofahrern mit dem Kennzeichen PI aufklären. Ihr müsst sie nicht verstehen oder gutheißen. Ich bitte einfach um ein wenig Nachsicht, schließlich gefährden diese Eigenheiten nicht die abendländische Kultur und in der Regel auch nicht eure Sicherheit im Straßenverkehr – höchstens das zügige und zielgerichtete Vorankommen.
Lektion 1: Pinneberger Vorfahrtsregel
In Fahrschulen im übrigen Bundesgebiet wird gemäß Straßenverkehrsordnung (StVO) bekanntlich die Regel „rechts vor links“ unterrichtet, die an Kreuzungen immer dann gilt, wenn die Vorfahrt nicht durch Schilder anders geregelt ist. Wenn zwei Autos gleichzeitig auf eine Kreuzung treffen, wie in meiner kleinen Skizze, dann darf normalerweise Auto 1 (gelb) zuerst fahren, dann erst ist Auto 2 (orange) an der Reihe. Wenn es sich bei Auto 1 allerdings um ein Fahrzeug mit Kennzeichen PI handelt, ist der Fahrer möglicherweise ganz anders sozialisiert. Dann wundert euch bitte nicht, wenn er trotz Vorfahrt stehenbleibt und euch nach einer Weile mit Lichthupe zu verstehen gibt, dass ihr ihm bitte die Vorfahrt nehmen und endlich losfahren sollt. Achtung: Wer an diesem Punkt zögert, muss damit rechnen, vom Autofahrer in Auto 1 mit Kopfschütteln oder eindeutigen und leider unfreundlichen Gesten bedacht zu werden. Viele Autofahrer verzichten sogar auf ihre Vorfahrt, wenn ihnen ein Linksabbieger entgegenkommt. Mein Insidertipp: einfach beherzt losfahren, es kann eigentlich nichts passieren.
Lektion 2: Umfahren eines Hindernisses
Ein bisschen komplizierter wird es, wenn es um das Umfahren von Hindernissen (zum Beispiel ein parkendes Auto oder ein Blumenkübel) geht. In Fahrschulen im übrigen Bundesgebiet lernen Fahrschüler bekanntlich, dass ein Verkehrsteilnehmer, auf dessen Fahrbahnseite sich ein Hindernis befindet, zuerst den Gegenverkehr vorbeilassen muss, bevor er selbst um das Hindernis herumfährt. Wer vor sich eine freie Fahrbahn hat, darf einfach weiterfahren, ist ja auch irgendwie logisch. Treffen im Straßenverkehr zwei Fahrzeuge aufeinander, von denen eines ein Kennzeichen PI trägt, wird es komplizierter. Dann sind folgende Szenarien wahrscheinlicher: Auto 2 (gelb, ohne Kennzeichen PI) trifft auf ein Hindernis, wie in meiner kleinen Skizze dargestellt. Auto 2 bleibt stehen. Das entgegenkommende Auto 1 (orange, mit Kennzeichen PI) bleibt ebenfalls stehen und gibt Auto 2 nach einer Weile mit Lichthupe oder einschlägigen Gesten (siehe oben) zu verstehen, dass es gefälligst zuerst um das Hindernis herumfahren soll. Handelt es sich bei Auto 2 allerdings um ein Fahrzeug mit Kennzeichen PI, ist Vorsicht angezeigt: Der Fahrer wird mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass Auto 1 stehenbleibt und ihn zuerst am Hindernis vorbeifahren lässt. Beharrt der Fahrer von Auto 2 (ohne Kennzeichen PI) aus Unkenntnis dieser Pinneberger Gepflogenheiten auf seinem Recht, kommt es entweder zu Blechschaden oder Kopfschütteln und eindeutigen Gesten (siehe oben). Mein Insidertipp: bei Hindernissen auf der Gegenfahrbahn unbedingt auf das Kennzeichen des entgegenkommenden Fahrzeugs achten, bevor man seine freie Fahrbahn für sich nutzt.
Insofern begrüße ich die aktuelle Neuregelung mit den Kfz-Kennzeichen, mithilfe derer man eindeutig feststellen kann, woher ein Autofahrer ursprünglich stammt und wo er verkehrstechnisch sozialisiert wurde. Die Neuregelung verhindert, dass sich künftig mehr normale Autofahrer wie ich mit einem Kennzeichen PI falsch etikettieren und in Situationen wie den oben geschilderten für unnötige Verwirrung sorgen.
13. Januar 2015 um 23:20
Ich habe sehr schnell die Vorteile des zunächst gefürchteten PI-Kennzeichens schätzen gelernt! Bei gelegentlichen Ausflügen nach Hamburg wird man mit viel Mißtrauen und Vorsicht beobachtet – halt so, wie auch ich früher mit Pinnebergern umgegangen bin. Und das macht das Fahren um einiges entspannter, denn alle halten einen gebührenden Abstand und niemand wird es wagen, den Provinzidioten mit seltsamen Fahrmanövern wie z.B. abruptem Einscheren zu irritieren und so am Ende noch selbst einen Schaden davon zu tragen, weil der Depp nicht rechtzeitig bremst…
Auch wir sind aus Hamburg nach Elmshorn gezogen, allerdings schon vor 16 Jahren. Ja, ich kann das geschilderte Fahrverhalten (teilweise) bestätigen. Mittlerweile kenne ich aber auch dessen Hintergründe: es geht eigentlich nur darum, gelegentlich nett zu sein und jemand anderem den Vortritt lassen. Oder einfach zu warten, bis die Straße wieder komplett frei ist und man sich nicht durch eine kleine Lücke quetschen muss. Und ich gestehe, dass ich von meinem beschaulichen Kleinstadtleben mittlerweile selbst so entspannt und entschleunigt bin, dass auch ich manchmal andere Autofahrer durchwinke oder mir kurz Zeit zum Nachdenken nehme 🙂
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14. Januar 2015 um 8:05
Liebe Iris, interessante Sichtweise – so habe ich es noch gar micht betrachtet! Danke! 🙂
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