In Elmshorn ist die Dittchenbühne eine Institution. Nun habe auch ich endlich einmal eine Aufführung besucht und mir von ihrem Leiter von der Tournee mit dem „Hauptmann von Köpenick“ durch die baltischen Staaten erzählen lassen.
Dass die Elmshorner Dittchenbühne auch den Namen Forum Baltikum trägt, war mir bekannt. Doch was es mit diesem Namen auf sich hat und was die Laienschauspieler der Theatergruppe der Dittchenbühne so alles auf die Beine stellen, wusste ich nicht. Zumindest nicht bis zum 6. November 2014, als ich die vorletzte Aufführung des „Hauptmann von Köpenick“ dort erleben und mit dem Leiter und einigen Ensemble-Mitgliedern sprechen durfte.
Satirische Kritik an der Obrigkeitsgläubigkeit des Kaiserreichs
Die Inszenierung von Carl Zuckmayers Klassiker gefiel mir gut: Das Stück handelt vom Pechvogel und Ex-Sträfling Wilhelm Voigt, der nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis erfolglos versucht, sich bei der Polizeiwache anzumelden, damit er mit den entsprechenden Papieren eine Arbeit antreten kann. Doch ohne Arbeit erhält er keine Aufenthaltserlaubnis, und ohne Aufenthaltserlaubnis findet er keine Arbeit. Dieser Teufelskreis ist übrigens kein Phänomen der Kaiserzeit: Wie ich in einigen Reportagen zur medizinischen Versorgung von Wohnungslosen (siehe Medical Tribune oder Chirurgen Magazin) gelernt habe, fallen auch heute viele Menschen durch das soziale Netz, weil sie ohne Arbeit keine Wohnung finden, ohne Meldeadresse aber die Jobsuche kaum gelingt und auch die Aufnahme in die gesetzliche Krankenversicherung sogar gar nicht möglich ist. Unter diesem Aspekt ist das Stück von 1931 also durchaus aktuell. Doch das nur am Rande. Wilhelm Voigt kann den Teufelskreis nur durch einen dreisten Betrug durchbrechen: Kaum tritt er in einer falschen Hauptmanns-Uniform und zackigem Befehlston auf, ist ihm der Respekt seiner Zeitgenossen sicher – satirische Kritik an der Obrigkeitsgläubigkeit und dem Uniformenkult des Kaiserreichs.
Zwölf Gastspiele in Russland, Polen, Lettland, Estland, Litauen und Finnland
Bei den Elmshorner Zuschauern kam das Stück gut an – auch die vorletzte Vorstellung war bis auf wenige Restplätze komplett ausverkauft. Im Oktober war das Ensemble außerdem auf einer 14-tägigen Tournee mit zwölf Gastspielen in Russland, Polen, Lettland, Estland, Litauen und Finnland unterwegs. Auch dort spielte die Truppe den „Hauptmann von Köpenick“ – und zwar auf Deutsch. Verständnisprobleme? Fehlanzeige. Der Leiter der Dittchenbühne, Raimar Neufeldt, erzählte mir, dass während der Tournee überall kleine Heftchen mit einer landessprachlichen Zusammenfassung an die Zuschauer verteilt werden, damit diese dem Stück folgen können. „In Litauen waren viele unserer Zuschauer Schüler deutscher Gymnasien, die hatten sogar gar keine Verständnisprobleme“, sagte Neufeldt.
Ein „Dittchen“ ist ein ostpreußischer Groschen
Der kulturelle Austausch mit den Ostseeanrainerstaaten ist erklärtes Ziel der Dittchenbühne. Sie wurde 1982 in Elmshorn als gemeinnütziger Verein von Menschen mit ostpreußischen Wurzeln gegründet, die mit ihrem Verein das kulturelle Erbe der ehemaligen deutschen Ostgebiete lebendig halten wollten. Den Namensteil „Dittchen“ verdankt sie der ostpreußischen Bezeichnung für „Groschen“, denn das Tourneegebiet reicht so weit wie diese mittelalterliche Münze gültig war: von Flandern bis nach Nowgorod. Die Verbundenheit der Gründer zu ihrer ostpreußischen Heimat ist in den Räumlichkeiten der Dittchenbühne allgegenwärtig: Hier eine Vitrine mit altem Königsberger Porzellan, dort eine Sammlung alter ostpreußischer Bahnhofsschilder oder historischer Ziegelsteine. Seit 2006 allerdings heißt der Verein aufgrund erweiterter Aufgabengebiete Forum Baltikum – Dittchenbühne e.V. Er betreibt neben der Theaterbühne auch ein Mehrgenerationenhaus, eine Kindertagesstätte und ein Bildungswerk. Ziel ist die Förderung der interkulturellen Zusammenarbeit, insbesondere mit den Ostseeanrainerstaaten, innerhalb der Metropolregion Hamburg, im Kreis Pinneberg und in der Stadt Elmshorn.
Nur ältere Zuschauer haben noch engen Bezug zu Ostpreußen
Doch trotz ihrer modernen Ausrichtung kann die Dittchenbühne ihre historischen Wurzeln nicht ganz hinter sich lassen. Schließlich erhält sie für ihre Arbeit Fördergelder nach § 96 des Bundesvertriebenengesetzes , in dem es heißt:
„Bund und Länder haben entsprechend ihrer durch das Grundgesetz gegebenen Zuständigkeit das Kulturgut der Vertreibungsgebiete in dem Bewusstsein der Vertriebenen und Flüchtlinge, des gesamten deutschen Volkes und des Auslandes zu erhalten, Archive, Museen und Bibliotheken zu sichern, zu ergänzen und auszuwerten sowie Einrichtungen des Kunstschaffens und der Ausbildung sicherzustellen und zu fördern. Sie haben Wissenschaft und Forschung bei der Erfüllung der Aufgaben, die sich aus der Vertreibung und der Eingliederung der Vertriebenen und Flüchtlinge ergeben, sowie die Weiterentwicklung der Kulturleistungen der Vertriebenen und Flüchtlinge zu fördern. Die Bundesregierung berichtet jährlich dem Bundestag über das von ihr Veranlasste.“
Diese Förderung hat aber auch zur Folge, dass die Auswahl der Stücke nicht beim Ensemble oder dem Leiter allein liegt, sondern mit dem jeweiligen Vertriebenenbeauftragten der Bundesregierung abgestimmt werden muss. „Streng genommen dürften wir nur alte ostpreußische Stücke spielen“, erklärte Neufeldt. Damit das Ensemble auch moderne russische oder polnische Stücke aufführen kann, ohne die Zuschüsse zu verlieren, bemüht er sich um eine möglichst großzügige Auslegung des § 96. „Schließlich werden die älteren Zuschauer, die noch einen engen Bezug zu Ostpreußen haben, von Jahr zu Jahr weniger.“
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