Elmshorn für Anfänger

Geschichten von einer, die auszog, im Hamburger Speckgürtel zu leben. Eine pragmatische Liebeserklärung.

Ich wünsche mir weiße Weihnachten – ein unverhofftes Schneefest in Elmshorn

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Ein Berg aus 40 Kubikmetern Kunstschnee, ein großer Bottich Früchtepunsch, 7 Kilo Kekse, ein ganzer Garten voll Fernseh-, Radio- und Zeitungsjournalisten ­ – und drei syrische Flüchtlingskinder, die zum ersten Mal in ihrem Leben im Schnee tollen.

Eigentlich wollte ich längst im Weihnachtsurlaub sein. Sowohl physisch als auch mental. So sehr ich meine ehrenamtliche Arbeit für das Willkommensteam für Flüchtlinge in Elmshorn auch liebe – für die Weihnachtsferien wollte ich mich einmal ausklinken und ganz andere Dinge denken und tun. So richtig geklappt hat das bislang allerdings noch nicht. Denn vorgestern rief mich am späten Nachmittag meine Willkommensteam-Kollegin Conny an, die Anrufe auf unser Vereinshandy beantwortet. „Ich habe hier noch eine total lustige Geschichte, die muss unbedingt noch auf unsere Homepage!“ Familie Holstenberg aus Elmshorn habe eine LKW-Ladung Schnee in einem Gewinnspiel gewonnen und wolle damit in ihrem Garten ein Schneefest veranstalten, zu dem sie auch Flüchtlinge einladen wollen. Und der beste Weg, Flüchtlinge zu erreichen, sei doch wohl über die Helfer in unserem Team, die hoffentlich auch kurz vor Weihnachten noch täglich auf unsere Homepage schauen.

Mit diesem riesigen Medienecho hatte ich nicht gerechnet…

Ich erstellte also einen Beitrag auf unserer Homepage, in dem ich Willkommenshelfer und die von ihnen begleiteten Flüchtlinge auf die Einladung in Familie Holstenbergs Garten hinwies. Vorsorglich schickte ich auch eine kurze Info über unseren Presseverteiler – „das wäre doch ein nettes Bild für die Elmshorner Nachrichten“, dachte ich mir. Und hatte keinen Schimmer, was für einen Medienrummel ich mit dieser kurzen Info auslösen würde. Gestern schwante mir im Laufe des Tages, dass diese Story ein ziemlicher Knüller werden würde, denn nacheinander meldeten sich bei mir das Hamburger Abendblatt, die Nachrichtenagentur dpa und SAT1 Nord. Heute morgen – ich saß eigentlich schon auf gepackten Koffern, um für die Weinachtstage in meine ostwestfälische Heimat zu reisen – auch die Elmshorner Nachrichten und RTL Nord. Wann ich denn mit den vielen Flüchtlingskindern dort aufkreuzen wolle, fragte man mich. Und was sei denn dran an der Meldung der dpa, dass die Veranstaltung nun doch abgesagt worden sei? Abgesagt? Keine Ahnung! Hilfe, was hatte ich da nur in Gang gesetzt? Ich hatte doch nur eine nette und ungewöhnliche Einladung einer Elmshorner Familie öffentlich gemacht!

„Ich wünsche mir weiße Weihnachten, damit ich ein Schneefest feiern kann!“

Mein Mann und ich verschoben unsere Reisepläne um ein paar Stunden, damit ich schnell einmal in die Franz-Marc-Straße fahren und mir das Schneetreiben selbst anschauen konnte. Als ich in die kleine Wohnstraße einbog, bot sich mir ein lustiges Bild: Mindestens sechs Erwachsene und unzählige Kinder waren schwer beschäftigt, mit Schubkarren und Schippen einen Riesenberg Schnee vom Wendehammer der Straße in den Garten der Familie Holstenberg zu schaffen. Darunter Anja Holstenberg, die Initiatorin der Aktion: „Ich habe an einem Gewinnspiel der ‚Bild am Sonntag’ teilgenommen, in dem man beantworten sollte, warum man gern weiße Weihnachten im eigenen Garten hätte“, erzählte sie mir. „Ich habe dann in einer E-Mail geschrieben, dass ich gern ein Schneefest veranstalten und dazu auch Flüchtlinge einladen würde.“ Sie selbst kenne bislang keine Flüchtlinge, habe aber in der Zeitung schon viel über die Arbeit des Willkommensteams gelesen und wolle mit dieser Aktion auch etwas dazu beitragen, dass Flüchtlinge hier willkommen geheißen werden.

Ein Sattelschlepper voll Schnee vom Snowdome aus Bispingen

Am Montag habe sie dann einen Anruf der ‚Bild am Sonntag’ erhalten, dass sie gewonnen habe und dass am Mittwoch um 9 Uhr morgens 30 Kubikmeter Schnee zu ihr nach Hause geliefert würden. „Der Schnee kommt aus Bispingen vom Snowdome“, sagte Anja Holstenberg, „der Fahrer des Sattelschleppers versicherte mir sogar, dass keine chemischen Zusätze drin sind.“ Bio-Schnee aus Bispingen also, der allerdings nicht direkt in den Garten geschüttet werden konnte, weil der Sattelschlepper nicht in die Einfahrt passte. Und so mussten also Freunde und Nachbarn mit allen verfügbaren Schubkarren und Schippen mit anpacken, um den Riesenberg Schnee abzutragen und in den Garten zu verfrachten.

Unser gesamter Presseverteiler war der Einladung gefolgt

Flüchtlingskinder konnte ich in dem Treiben keine entdecken, dafür ein Meer aus Foto- und Fernsehkameras und Journalisten, die sich im Carport der Familie Holstenberg vor dem immer wieder einsetzenden Regen in Sicherheit gebracht hatten. Sie warteten darauf, dass endlich Flüchtlinge eintreffen um im Schnee zu spielen. Offenbar waren alle Adressaten unseres Presseverteilers der Einladung gefolgt – mit Ausnahme der dpa, die ja aus unerfindlichen Gründen von der Absage der Veranstaltung berichtet hatte. Die Stimmung war gut, auch wenn der Termin offensichtlich ein bisschen anders verlief als geplant. „Ach, Sie sind also Frau Thiel, dann kommen Sie mal hier ins Carport zur Pressekonferenz“, rief mich der RTL-Mann herbei. Ich gab ein paar Fernseh-, Radio- und Zeitungsinterviews und erzählte von der Arbeit des Willkommensteams. Und dass unter den von uns begleiteten Flüchtlingen ganz sicher einige seien, die noch nie in ihrem Leben Schnee gesehen haben.

Die Journalisten spielen im Schnee und fotografieren sich gegenseitig

Leider ließen sie sich nicht blicken. Ich erklärten den Journalisten, dass wir in Elmshorn keine zentrale Flüchtlingsunterkunft haben, so dass man nicht einfach dort vorbeischauen und auf einen Schlag ein Dutzend Flüchtlinge über diese lustige Schneeaktion im Garten von Familie Holstenberg informieren kann. Der Beitrag auf unserer Homepage wurde zwar sehr häufig angeklickt, doch möglicherweise hatte keiner unserer Helfer Zeit, mit „seinen“ Flüchtlingen zum Schneetreiben zu kommen? „Doch vielleicht kommen ja noch welche…?“ Die Journalisten ließen sich noch eine Weile hinhalten, aßen Kekse und tranken Kaffee, den Anja Holstenbergs Ehemann Rainer Dreyer immer wieder frisch aufsetzte. Die Aussicht auf Bilder von niedlichen Kindern, die zum ersten Mal verzückt im Schnee spielen, war offenbar verlockend. Irgendwann begann das RTL-Team, selbst mit dem Schlitten von dem Schneehügel auf der Straße herunterzufahren und dabei zu filmen („Das sind Bilder, die man für’s Archiv immer mal wieder gebrauchen kann, wann haben wir schon Schnee?“), wobei es von allen anderen Journalisten fotografiert wurde. Ich fürchtete, dass die Stimmung demnächst kippen könnte, griff zum Telefon und rief Susanne Waack an.

Hilferuf an Susanne und Matthias mit ihrer syrischen Familie Alsatouf

Susanne und ihr Mann Matthias sind ebenfalls im Willkommensteam aktiv und begleiten eine achtköpfige syrische Familie, bei der sie mittlerweile wie Oma und Opa ein- und ausgehen. Ihre Beziehung zu Familie Alsatouf ist so herzerwärmend schön, dass wir sie bei Presseanfragen schon häufiger einmal als Interviewpartner vermittelt haben. Susanne und Matthias sind also ebenso wie Amjed und Johara mit ihren sechs Kindern mittlerweile echte Medienprofis. „Susanne, du musst mir helfen, bitte komm mit ein paar Kindern der Familie Alsatouf vorbei, hier können sie im Schnee spielen, die Presse ist auch da!“, bat ich sie. Waacks und Alsatoufs steckten gerade mitten im gemeinsamen Weihnachts-Großeinkauf und hatten noch einen Haufen anderer Termine, doch Susanne versprach spontan: „Wir bringen die Einkäufe nach Hause, packen ein paar Kinder ein und kommen vorbei!“

„Wann schneit es endlich hier in Deutschland?“

Die Einladung auf der Homepage hatten sie noch gar nicht gelesen, doch tatsächlich hatten die Kinder in den vergangenen Wochen ihre „Großeltern“ Susanne und Matthias immer wieder ungeduldig gefragt, wann es denn endlich schneit in Deutschland. Kaum aus dem Auto gestiegen, stapften die zwölfjährige Hiyam und ihre kleinen Brüder Ahmed und Hassan auch sofort auf den großen Schneehaufen zu, übten Schlittenfahren und Schneeballformen – und posierten bereitwillig für die vielen Kameras. „Das ist gut!“, rief der siebenjährige Ahmed aufgeregt, und der vierjährige Hassan rieb sich verwundert die schneekalten Hände. Papa Amjed begann eine Schneeballschlacht mit seinen Kindern. „Wie schade, dass die anderen drei Kinder das nicht erleben können“, meinte Susanne, doch Anja Holstenberg beruhigte sie: „So lange der Schnee nicht geschmolzen ist, ist das hier ein offener Garten, ihr könnt gern wieder herkommen und im Schnee spielen – auch morgen am Heiligabend.“

„Wenn die Kinder sich das wünschen, gibt’s Heiligabend Pfannkuchen!“

Mir imponierte, wie tiefenentspannt Anja Holstenberg mit dem ganzen Trubel umging. Sie selbst fand das nicht weiter verwunderlich: „Wir machen nicht so viel Aufhebens um Weihnachten. Unsere Verwandtschaft ist über die Feiertage verreist, es kommt also kein Besuch, den wir besonders toll bekochen müssen. Deshalb gibt es einfach das, was die Kinder sich wünschen. Wenn die vier morgen gern Lasagne essen möchten, gibt es Lasagne an Heiligabend. Wenn sie gern Pfannkuchen hätten, essen wir Heiligabend eben Pfannkuchen.“ Sie hätten auch noch nicht für die Feiertage eingekauft oder einen Baum besorgt: „Aber Rewe hat ja bis 23 Uhr geöffnet. Außerdem haben wir letztes Jahr einen Baum mit Ballen gekauft und nach Weihnachten im Garten eingepflanzt, den könnten wir eigentlich wieder ausbuddeln für die Weihnachtstage“, überlegte Anja Holstenberg, „Schaufeln stehen hier ja gerade genug herum!“

Feiertagsstress einfach beiseite schieben und Weihnachten genießen

Ziemlich regendurchweicht, aber fröhlich und beschwingt verließ ich eine Weile später das unverhoffte Schneefest, um mich mit ein paar Stunden Verspätung auf den Weg nach Hause zu machen. Ich wünsche allen meinen Lesern wunderschöne Weihnachtstage – und dass sich niemand von unnötigem Feiertagsstress anstecken lässt, wie er doch leider so viele von uns in diesen Tagen erfasst. Wer sich von Anja Holstenbergs bewundernswert gelassener Haltung inspirieren lassen möchte, dem empfehle ich einen Besuch in ihrem offenen Schneegarten. So lange die weiße Pracht noch nicht geschmolzen ist, ist jeder dort willkommen. Der Beitrag auf RTL Nord ist übrigens schon hier online zu sehen, und beim NDR habe ich auch schon einen Beitrag entdeckt. Ein Bericht im Hamburger Abendblatt findet sich hier, die Elmshorner Nachrichten berichteten in ihrer Weihnachtsausgabe, der Online-Sender Mein-Kreis-Pi brachte ebenfalls eine Meldung, die Uetersener Nachrichten titelten originell mit „Elmshorns Mount Holstenberg“ und natürlich berichtete auch die Bild am Sonntag, die den Schnee schließlich gestiftet hatte. Mehr Medienpräsenz geht nun wirklich nicht. 🙂

2 Kommentare zu “Ich wünsche mir weiße Weihnachten – ein unverhofftes Schneefest in Elmshorn

  1. Pingback: Was wurde eigentlich aus dem Schneefest für Flüchtlinge bei Familie Holstenberg? | Willkommensteam für Flüchtlinge Elmshorn e. V.

  2. Pingback: Frohe Weihnachten und einen guten Rutsch! | Willkommensteam für Flüchtlinge Elmshorn e. V.

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